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'Drachenflieger': Einfach Kind sein

js; 13. Nov 2014, 18:11 Uhr
Bilder: Jessica Schöler --- Vordere Reihe: Inge Schuhmacher (Geschäftsführerin Verband der Katholischen Kirchengemeinden Oberberg, v.l.), Kaija Elvermann (Gesundheitsamt Oberbergischer Kreis), Landrat Hagen Jobi, Maren Schneider (Beratungsstelle Wipperfürth) und Sozialdezernent Dr. Jorg Nürmberger. Hintere Reihe: Ansgar Nowak (Beratungsstelle Wipperfürth, v.l.), Pastor Christoph Bersch (Kreisdechant) und Lars Hüttler (RheinEnergieStiftung Familie).
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'Drachenflieger': Einfach Kind sein

js; 13. Nov 2014, 18:11 Uhr
Oberberg - Das Beratungsangebot „Drachenflieger“ richtet sich an Kinder mit psychisch- oder suchtkranken Eltern und wird in der Psychologischen Beratungsstelle Wipperfürth angeboten - Träger ist der Verband Katholischer Kirchengemeinden Oberberg.
„Familien mit psychisch- oder suchtkranken Eltern sind immer noch ein tabuisiertes Thema. Auch hier sollte man immer die Augen aufhalten, denn vieles in dieser heilen ländlichen Welt ist nicht heil“, erklärt Pastor Christoph Bersch, Kreisdechant vom Verband der Katholischen Kirchengemeinden im Oberbergischen Kreis. Um diesen Familien und vor allem den Kindern zu helfen, hat man das Beratungsangebot „Drachenflieger“ ins Leben gerufen, bei dem ein Weg aus der innerfamiliären Tabuzone gefunden werden soll. Die Beteiligten vom Verband der Katholischen Kirchengemeinden, der Psychologischen Beratungsstelle Wipperfürth, die Unterstützer des Oberbergischen Kreises und der RheinEnergieStiftung Familie stellten das Projekt heute in Gummersbach vor.


[Bild: Drachenflieger --- Das Projekt setzt an der Schnittstelle Gesundheits- und Jugendberatung an.]

Am 1. Dezember 2013 startete „Drachenflieger“ offiziell. Die Planungsphase ist inzwischen abgeschlossen. In Kürze sollen die ersten Kinder in der Psychologischen Beratungsstelle Wipperfürth einen geschützten Ort zum Austausch finden. Psychologin Maren Schneider wird mit bis zu sechs Kindern über ihre Gefühle, Anliegen und Gedanken sprechen.

Bei den wöchentlichen Treffen sollen die Teilnehmer im Alter von sechs bis zwölf Jahren aber auch die Möglichkeit bekommen Entlastung zu finden, Verlässlichkeit zu erfahren und Vertrauen aufzubauen. Punkte, die im Alltag einer Familie mit suchtkrankem oder psychisch krankem Elternteil häufig verloren gegangen sind. „Oft übernehmen Kinder die Rolle ihrer Eltern. Sie werden zwar früh erwachsen, die emotionale Reife bleibt aber auf der Strecke. Um Kind zu sein bleibt keine Zeit“, erklärt Ansgar Nowak, Leiter der Psychologischen Beratungsstelle Wipperfürth.

Bei „Drachenflieger“ ist „Kind sein“ neben der Möglichkeit über die Familiensituation sprechen zu können eines der Hauptanliegen. Wie die Beteiligten heute erklärten, wird in den betroffenen Familien häufig über die Erkrankung geschwiegen. Die Kinder wissen oftmals nicht, warum Mutter oder Vater nicht zu Hause sind oder, wieso sie in einer Klinik sind. „Sie spüren instinktiv, dass es ein Thema ist, über das man nicht redet und zu dem man nicht nachfragt. Die Kinder bilden eigene Ideen und beziehen vieles auf sich selbst“, erläutert Schneider, die Aufklärung, als fundamentalen Baustein im familiären Stärkungsprozess ansieht. Im Projekt gehe man deshalb nicht nur auf die Kinder, sondern auch auf die Eltern zu. Neben den Gruppentreffen spricht die Psychologin auch in Einzelgesprächen mit ihren Schützlingen, erklärt ihnen, dass sie nicht Schuld an der Situation sind. In begleitenden Gesprächen mit den Eltern soll das Vertrauen der Mütter und Väer in die eigenen Fähigkeiten gestärkt und die eigene Erziehungskompetenz entdeckt werden.




„Es handelt sich um ein präventives Konzept und nicht um Therapie. Wir wollen die Schutzmechanismen der seelischen Gesundheit stärken“, beschreibt Kaija Elvermann, Leiterin des kinderärztlichen Dienstes im Gesundheitsamt des Oberbergischen Kreises. Ziel sei es den Familienverbund zu erhalten und dort anzugreifen, wo vorher wenig Hilfestellung geleistet wurde. Bisher seien die betroffenen Kinder meist erst dann erfasst worden, wenn sie bereits auffällig geworden seien. „Wir befinden uns an der Schnittstelle zwischen Gesundheitshilfe und Jugendhilfe, an der Kinder sonst oft übersehen werden“, so Nowak. Um Betroffene an dieser Stelle abzufangen, setzt man auf Hilfe von Fachärzten und das Zentrum für Seelische Gesundheit Marienheide.

[Die Projektpartner erklärten den Ansatz von "Drachenflieger".]

Schneider betreibt dort montags eine offene Sprechstunde, bei der sie mit interessierten Eltern über Konflikte im Familienleben spricht. „Es ist wichtig zu vermitteln, dass ich keine Allianz mit den behandelnden Therapeuten bilde“, merkt Schneider in diesem Zusammenhang an. Die Vertraulichkeit spiele eine wichtige Rolle. Angst vor dem Jugendamt müsse niemand haben, ergänzt Nowak, es gehe bei „Drachenflieger“ darum eine Beratungsstelle mit niederschwelligem Zugang, auch anonym, zu schaffen.


Die Ausrichtung des Projekts im Psychologischen Beratungszentrum wird jährlich mit 5.000€ vom Oberbergischen Kreis unterstützt. Die RheinEnergieStiftung Familie beteiligt sich zwei Jahre lang mit einer jährlichen Zahlung von 30.000€. Bei erfolgreicher Umsetzung, könnte „Drachenflieger“ für weitere zwei Jahre bedacht werden. Die Trägerschaft übernimmt der Verband der Katholischen Kirchengemeinden im Oberbergischen Kreis. Die Anlaufstelle in Wipperfürth ist als Modellprojekt geplant und deckt derzeit den Bereich Oberberg-Mitte ab. „Sollte hieraus eine dauerhafte Geschichte werden, könnte ich mir eine flächendeckende Abdeckung vorstellen“, so Sozialdezernent Dr. Jorg Nürmberger. Landrat Hagen Jobi gab sich heute zuversichtlich: „Das Problem ist erkannt, jetzt muss erst mal alles in die Gänge kommen.“


Weitere Informationen zum Projekt, zur Arbeit der Psychologischen Beratungsstelle Wipperfürth und Kontaktmöglichkeiten  finden Sie hier.
  
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