Archiv

„Und plötzlich sprach man von Revolution“

fj; 20. Sep 2014, 08:22 Uhr
Bilder: privat --- Elena und Mitfreiwillige vor dem Internationalen Zelt inmitten der Demonstranten auf dem Maidan. Noch waren die Proteste friedlich.
ARCHIV

„Und plötzlich sprach man von Revolution“

fj; 20. Sep 2014, 08:22 Uhr
Nümbrecht – Die Nümbrechterin Elena Rother absolviert einen einjährigen Freiwilligendienst in einem Kinderheim in Kiew – Dabei stolperte sie unerwartet mitten in die Revolution in der Ukraine.
Proteste, Regierungssturz, Revolution – dass Elena Rother all dies in ihrem Freiwilligendienst hautnah erleben wird, hätte die heute 19-jährige Nümbrechterin vor einem Jahr selbst nicht geglaubt. Für sie stand nur fest, dass sie zwischen Abitur und Studium noch einmal ins Ausland wollte und am liebsten mit Kindern arbeiten würde. Diese Einstellung stieß auf offene Ohren bei der internationalen katholischen Friedensbewegung pax christi. Sie entsandte Elena in die Ukraine, wo sie im Kinderheim „Our Kids“ arbeiteten sollte. Ein Jahr hat Elena nun in der ukrainischen Hauptstadt Kiew verbracht, auf Oberberg-Aktuell schilderte sie monatlich ihre Erlebnisse und Erfahrungen.


[Vitali Klitschko bei einer Wahlkampfrede in Elenas Stadtviertel im vergangenen Juni.]

„Dass sich die politische Lage so zuspitzen wird, war für mich überhaupt nicht absehbar, als ich mich für einen Freiwilligendienst in der Ukraine entschied“, berichtete Elena im Gespräch mit OA. Auch in der ersten Zeit in Kiew beschäftigten sie erst einmal das, was wohl jeden auf Trapp hält, der ein Leben im Ausland beginnt: sprachliche Barrieren und kulturelle Stolpersteine. „Ich habe mich in der Großstadt ständig verlaufen“, erinnert sich Elena, „und auch Schilder haben mir nicht weitergeholfen – schließlich konnte ich die kyrillische Schrift nicht lesen.“ Dann waren es immer die Einheimischen, die ihr aus der Patsche halfen. „Die Ukrainer sind so hilfsbereit. Man braucht nur einen Stadtplan hervorzuholen und schon wird Hilfe angeboten. Und wenn man nichts versteht, bekommt man den Weg halt mit Händen und Füßen erklärt“, so Elena, die jetzt Kyrillisch lesen und Russisch sprechen kann.


Als dann die Proteste losbrachen und die Welt begann, auf den Maidan zu schauen, war auch Elena auf dem zentralen Platz in Kiew zu finden. Im Advent sprach man in der ukrainischen Hauptstadt erstmals von einer Revolution, doch noch waren die Proteste friedlich. „Auf einer Bühne werden Reden und Gottesdienste gehalten, einmal pro Stunde wird die Nationalhymne gesungen und dazu gibt es Konzerte von bekannten ukrainischen, polnischen und tschechischen Bands. Die Stimmung ist friedlich und sehr gemeinschaftlich, es wird Rücksicht genommen und man kommt miteinander ins Gespräch. Alle verbindet die Forderung nach der Zuwendung der Ukraine zur EU“, berichtete Elena im Dezember 2013.


[Blumenmeer auf dem Maidan in Gedenken an die Opfer der Ausschreitungen.]
  
Barrikaden, bewaffnete Polizisten und Absperrungen prägend das Stadtbild. „Dass die Proteste dann so eskalieren, hätte ich damals trotzdem nicht erwartet“, erinnert sich Elena. Doch im neuen Jahr spitzt sich die Situation zu. „Autoreifen und Zelte brannten, es wurde scharf geschossen, in drei Tagen kamen fast hundert Menschen ums Leben, tausende wurden verletzt“, schrieb sie im vergangenen März. Elena bekommt von den Ausschreitungen glücklicherweise nichts mit, sie ist auf Heimaturlaub, vom Sturz Janukowitschs erfährt sie auf einer Familienfeier. Auch wenn sich ihr Umfeld Sorgen darüber macht, was Elena nun in Kiew erwartet und sich erst im letzten Moment entscheidet, dass sie überhaupt wieder in die Ukraine einreisen darf, stand für Elena fest, dass sie zurückkehren möchte, um ihren Freiwilligendienst in Kiew zu beenden.


[Das Haus der Gewerkschaften am Maidan, das zum Hauptquartier der Protestbewegung wurde, wurde am 19. Februar mit Molotow Cocktails in Brand gesetzt und zerstört.]

Die letzten Monate in der ukrainischen Hauptstadt sind geprägt von der Angst vor weiteren Ausschreitungen. „Erst war Janukowitsch der Feind, dann Putin. Die Angst vor weiterer Gewalt oder gar einem Krieg war überall spürbar, das Thema Ostukraine allgegenwärtig, egal ob im Café oder im Bus“, so Elena. Seit etwa zwei Wochen ist sie nun wieder in Nümbrecht. Und für sie steht fest: Sie würde alles wieder ganz genauso machen. Erst einmal steht aber der Umzug nach Leipzig an, wo sie Deutsch und Geschichte auf Lehramt studieren möchte. „Aber mein Interesse an Osteuropa ist geweckt“, sagt Elena, die nun auch nach Bulgarien, Ungarn, Moldawien und auch Russland reisen möchte.


[Der ukrainische Unabhängigkeitstag am 24. August wurde auch in diesem Jahr gefeiert. Elena (Mitte) war dabei.]

Wer mehr über Elena s Aufenthalt in der Ukraine erfahren möchte, hat dazu am kommenden Mittwoch, 24. September, im Gemeindehaus in Elsenroth Gelegenheit. Ab 19:30 Uhr veranstaltet Elena hier einen Foto- und Erzählabend.
WERBUNG