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Die letzte Patrone

bv; 8. Mar 2019, 08:00 Uhr
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Die letzte Patrone

bv; 8. Mar 2019, 08:00 Uhr
Gummersbach - Der neue Trainer in der Kreisstadt ist ein unbeschriebenes Blatt, kann aber in Gummersbach nur gewinnen und verhilft dem Verein hoffentlich zu neuem Realismus.
Dass der Glaube Berge versetzen kann, ist allgemein bekannt. So ist der fromme Wunsch beim VfL Gummersbach nicht verwunderlich, es möge der fröhliche und pflichtbewusste Retter erscheinen, der die Spieler wachküsst und den Verein wie die Fans vom Bösen erlöst. Und letzteres dräut in Form der Strafversetzung in die Zweite Liga. Die kennt der neue Trainer des Bundesligisten wie seine Westentasche, Nein, das ist kein schlechtes Omen, nur eine Tatsache. Torge Greve, der Mann aus dem Hohen Norden, muss in Rekordzeit aus völlig verunsicherten Individualisten eine Einheit formen, die dem Sturm standhält und die Klasse sichert - irgendwie. Er ist die letzte Patrone von Sportdirektor Christoph Schindler. Dass Denis Bahtijarevic trotz allen handballerischen Sachverstands scheiterte, ist den Mechanismen der Branche geschuldet.


Es ist durchaus möglich, dass der neue Coach den Abstieg verhindert, indem er handballerisch und taktisch an einigen Stellschrauben dreht und mit einer Mischung aus adrenalin-gespeistem Trotz und wilder Entschlossenheit in den nächsten Spielen ein neues Wir-Gefühl erzeugt. Schließlich ist die Erstliga-Zugehörigkeit die Voraussetzung für eine Gesundung des schwerkranken Patienten VfL, der die Intensivstation seit Jahren nicht mehr ernsthaft verlassen hat. Wie verunsichert und ausgelaugt der Gummersbacher Handball-Dino ist, zeigen die nackten Zahlen. Torge Greve ist der fünfte Trainer in weniger als zwei Jahren. In derselben Zeit mühten sich drei Manager um den Verein, der irgendwie aus der Zeit gefallen scheint.

Was Handball-Gummersbach rasch benötigt, sind Solidität, Demut und Glück. Weil die finanziellen Möglichkeiten begrenzt sind und niemand wegen vergangener Erfolge die Geldschatulle öffnet, sollte man sich ehrlich machen. Großes in Handball-Gummersbach zu versprechen ist Scharlatanerie. Es wird nur mit kleinen Schritten der Gesundung gehen. Notwendig ist auch, Ballast abzuwerfen, sich von allem zu trennen, was den Rekonvaleszenten VfL beschwert, sich auf Wesentliches zu konzentrieren. Wem Finanzmittel fehlen, muss alles auf gutes Scouting und das Entwickeln eigener Talente zu fertigen Spielern setzen. Wer glaubt, dass früher alles besser war, sollte sich alte Europapokal-Schlachten im Video anschauen, sich aber bei der Zukunftsplanung des VfL zurückhalten. Es zählt das Hier und Jetzt, nicht rosarote Traumwelten. Und schließlich muss es der Handball-Gott auch noch gut meinen mit den Kreisstädtern, neue Spieler müssen einschlagen, Talente in kurzer Zeit sich weiterentwickeln. Diese Mischung könnte dem VfL wieder auf die Beine helfen. Der Verein mit der großen Tradition wird sich nur selbst aus dem Joch der Erfolglosigkeit befreien können.
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