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Aus der Vergangenheit lernen heißt, heute genau hinzuschauen

us; 28. Jan 2019, 11:46 Uhr
Bilder: Ute Sommer --- Mit jüdischen Wallfahrtsliedern und Festgesängen umrahmte das Duo Shoshan die Feier zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus.
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Aus der Vergangenheit lernen heißt, heute genau hinzuschauen

us; 28. Jan 2019, 11:46 Uhr
Nümbrecht - Der Einladung des Freundeskreis Nümbrecht/Mateh-Yehuda, der Verwaltung und Kirchen zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus waren gestern Abend rund 100 Gäste ins Foyer des Nümbrechter Rathauses gefolgt.
Von Ute Sommer

Aus Anlass der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz/Birkenau am 27. Januar 1945 wird der Tag auf Initiative des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog seit 1996 als deutscher Gedenktag begangen. „Gerade in heutiger Zeit ist Geschichtsbewusstsein essenziell, um Zukunft zu gestalten“, begrüßte Nümbrechts Bürgermeister Hilko Redenius die Besucher im dicht besetzten Rathausfoyer. Seine Eingangsthese wurde im direkten Nachgang von Luca Marie Steiniger und Franziska Theis, Abiturientinnen des Homburgischen Gymnasiums Nümbrecht (HGN), belegt. Mit persönlichen Schilderungen ihres Besuchs des Konzentrationslagers Auschwitz im Rahmen einer HGN-Exkursion aus dem Herbst 2018 setzten die Schülerinnen den ausdrucksstarken Ton zu einer mahnenden Gedenkfeier. „Wir wussten vorher, dass der Holocaust als Synonym für Verfolgung, Ghettoisierung und Massenmord steht. Greifbar allerdings wird das Geschehen nicht durch Zahlen und Statistiken, sondern durch  die menschlichen Einzelschicksale die dahinter stehen“, erinnerten beide an die Tragödien der Nümbrechter Juden Meta Herz und Leo Baer.


[Eine umfassende Analyse des wachsenden Antisemitismus in Deutschland lieferte Pfarrer Matthias Köhler in seiner Ansprache.]

Gerade vor dem Hintergrund sukzessive aussterbender Zeitzeugen sei fortwährende Holocaust-Erinnerungskultur für künftige Generationen unerlässlich. Einen unverhohlenen, fortschreitenden gesellschaftlichen Antisemitismus konstatierte Pfarrer Matthias Köhler von der evangelischen Kirchengemeinde Nümbrecht und stützte sich dabei nicht nur auf Zahlen des jüngsten Verfassungsschutzberichtes. „Es gilt, im Kleinen wachsam zu sein, genau hinzuschauen“, forderte er dazu auf, die mediale Berichterstattung über den Nahostkonflikt inhaltlich und sprachlich kritisch zu hinterfragen. Allgemein herrsche eine gefährliche Unkenntnis über das Lebensrecht des Staates Israel, die zur Steilvorlage undifferenzierter Israelkritik diene. „Ist noch gewusst, dass Israel der einzige Staat im Nahen Osten ist, der demokratisch ist?“ Daneben prangerte er einen tendenziellen Verlust an Empathievermögen in der heutigen Gesellschaft an, verwies auf ethische Bedenken zu Teilen der Pränatal-Diagnostik. „Aus der Vergangenheit lernen, heißt heute genau hinschauen, wo die Menschenwürde in Gefahr ist", bekräftigte er.



Mit dem Psalm 124 trug Michael Grüder, Pastoralreferent der katholischen Kirche, das Dankgebet eines Geretteten vor. Was es heißt, 2019 in Deutschland Jude zu sein, beschrieb Marion Reinecke als Vorsitzende des Freundeskreises Nümbrecht/Mateh Yehuda mit Impressionen aus der Kölner Gemeinde. Synagogen, Kindergärten, Schulen und Altenheime seien hochgerüstet mit Überwachungstechnik, Polizei und Sicherheitskräfte allgegenwärtig. Die Angst vor Ablehnung oder offener Gewalt hindere auch Juden in Oberberg daran, sich offen zu ihrem Glauben zu bekennen. „Stellen Sie sich jeder Form von Fremdenhass und Antisemitismus entgegen, denn wir reden von Mitmenschen, die reale Angst um ihr Leben haben", rief sie die Zuhörer dazu auf, gerade im Alltag klare Position zu beziehen. Mit traditionellen, jüdischen Psalmgesängen bereicherte das Duo Shoshan (Gesang und Klavier mit Waltraud und Raimund Rennebaum) die Veranstaltung. Im Rathausfoyer demonstriert die Wanderausstellung „Bibliothek der geretteten Erinnerung“ berührende Einzelschicksale von Entrechtung, Diktatur und Unterdrückung, die von HGN-Schülern mit eigenen Beiträgen und Erfahrungsberichten ergänzt wurden.
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