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Die Wahrheit ist komisch und Lebenshunger tödlich

fj; 14. Feb 2019, 13:05 Uhr
Bilder: Martin Hütt --- Drehbare weiße Tafeln öffneten für die Figuren mal die Tür zur Welt, mal sperrten sie ein oder ließen sich die Figuren im Kreis drehen.
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Die Wahrheit ist komisch und Lebenshunger tödlich

fj; 14. Feb 2019, 13:05 Uhr
Gummersbach - Mit Flauberts „Madame Bovary“ brachte das „Theater Wahlverwandte“ gestern die gelungene, tragikomische Inszenierung eines Klassikers in die Halle 32 – Schauspielkunst und geschickte Verknappung überzeugten.
Gustave Flaubert erschuf mit Madame Bovary eine der bekanntesten Frauen der Weltliteratur – und Schauspielerin Lisa Wildmann füllte diese Rolle mühelos aus. Wenn sie sich als Emma Bovary auf dem Boden rekelte, ihre Lust am Leben herausschrie oder sich vor Verzweiflung torkelnd über die Bühne schleppte waren sie alle greifbar, die vielen Facetten der berühmten Madame. Doch nicht nur die schauspielerische Leistung der österreichischen Schauspielerin Wildmann machte die gestrige Theateraufführung in der Halle 32 zu einem Genuss: Es war auch das genial durchdachte Bühnenbild von Stefan Morgenstern, die geschickte Verdichtung des Stoffs durch Autor Wolfgang Seidenberg und das Wechselspiel zwischen tragischen, sinnlichen und grotesken Momenten, die das Gastspiel des „Theaters Wahlverwandte“ zu einem Erlebnis machten. Dem Ensemble unter der Gesamtleitung von Silvia Armbruster gelang es wunderbar, einen Klassiker der Weltliteratur in eine zeitgemäße Version zu übersetzen.


[Sinnlich und hemmungslos –Mit seiner Romanfigur löste Flaubert seinerzeit einen Skandal aus. Schauspielerin Lisa Wildmann gelang es fantastisch, diesen Effekt auch in der modernen Bühnenfassung zu erhalten.]

Emma - jung, schön, leidenschaftlich – sieht ihre Zeit gekommen, als sie den verwitweten Landarzt Charles Bovary kennenlernt. Sie wittert ihre Chance auf Liebe, Reichtum und Abenteuer. Wundervoll hemmungslos warf sich Wildmann in der Rolle der Emma an Charles Brust, rieb ihren Körper an seinem – und ließ dem älteren Charles keine Chance. Christian Kaiser gelang es fantastisch, die Vernarrtheit und Tragik der Figur darzustellen, der es nicht gelang, den Lebenshunger der jungen Frau zu stillen. Denn das Leben in der französischen Provinz an der Seite des Landarztes ohne Ambitionen langweilt Emma. Zuflucht findet sie in Romanen – und ihren Fantasien von Liebe und Leidenschaft. Als Zuschauer konnte man sich des Mitleids kaum verwehren, als Charles Emmas Obsessionen für Beklemmungen hält und hofft, ihr durch einen Ortswechsel helfen zu können.

Doch auch die neue Heimat hat nichts als bürgerliche Enge zu bieten, die Ursula Berlinghof in der Rolle des Apothekers Homais wunderbar personifizierte. Denn Homais hält sich für einen Freigeist, doch schon der Dialekt, den Berlinghof der Figur gab, enttarnte dies als Selbstverherrlichung und schrie nur so nach Provinzialität. Ihre leidenschaftlichen und von Romanen beflügelten Fantasien versucht Emma indes in Affären auszuleben – und schafft es dabei doch nie, ihrer Wirklichkeit vollends zu entfliehen. Als Publikum wusste man kaum, ob man lachen oder weinen soll, wenn Emma sich vom Provinz-Don-Juan Rodolphe verführen ließ, während der Moderator der Landwirtschaftsmesse, wieder grandios gespielt von Berlinghof, an der anderen Bühnenseite ins Mikrofon plärrte. Schöner konnte man romantische Ideale kaum auf die Realität treffen lassen.



Auf gelungene Weise bildlich dargestellt wurde auch die Gewieftheit des Händlers Lheureux, bei dem sich Emma durch den Kauf von Artikeln, die wenigstens etwas Luxus in ihr Leben bringen sollen, zunehmend verschuldet. In der Rolle des Lheureux umgarnte Sebastian Strehler Madame Bovary nicht nur sinnbildlich, sondern hüllte ihren Körper auch tatsächlich in glänzende Stoffe – eine der ästhetischsten Szenen des Stücks. Doch bekanntlich können weder Luxusgüter noch die unglückliche Affäre mit Rodolphe oder die Liaison mit dem jüngeren Studenten Léon Emmas Lebenshunger stillen: Hoch verschuldet und von ihren Liebhabern im Stich gelassen wählt sie den Tod durch Gift. Als Charles nach ihrem Tod die Briefe ihrer Geliebten findet, ist er ein gebrochener Mann und stirb wenig später. Zurück bleibt die gemeinsame Tochter, der es nicht gelang einen Platz im Herzen der Mutter – und so auch nicht im Bühnengeschehen – zu finden.


[Mittelpunkt des reduzierten Bühnenbildes war ein rotes Sofa. Auf diesem wurde geliebt und gestorben, es diente als Rednerpult, Bett und Kutsche.]


Für Flauberts Zeitgenossen war es unerhört, was sich seine Romanfigur da erlaubte: Obwohl verheiratet und Mutter eines Kindes, ließ sie sich auf Männer ein, führte ein Leben über ihren Verhältnissen, ruinierte so den treuen Gatten und war stetig auf der Suche nach Ekstase. Flaubert brachte sein „Sittenbild der Provinz“ seinerzeit eine Gerichtsverhandlung ein, bei der man ihm Verstöße gegen die guten Sitten vorwarf. Dem Theater Wahlverwandte gelang es, das Skandalöse des Klassikers zu bewahren – nicht zuletzt durch das provokante, aufreizende Schauspiel Wildmanns – und ihm gleichzeitig viel Komisches mitzugeben, ohne ihm seine Tragik zu nehmen. Denn dass gerade in der Wahrheit, dem Leben, die meiste Komik steckt, davon war auch schon Flaubert beim Schreiben seines Meisterwerkes überzeugt. 
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