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Bittere Niederlage nach turbulenter Schlussphase

pn; 23. Oct 2016, 23:45 Uhr
Bilder: Alexander Arnold ---- Der VfL Gummersbach dezimierte sich in den Schlussminuten selbst und konnte seine Aufholjagd damit nicht mehr krönen.
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Bittere Niederlage nach turbulenter Schlussphase

pn; 23. Oct 2016, 23:45 Uhr
Gummersbach - In vierfacher Unterzahl können die Kurtagic-Schützlinge das Ruder nicht mehr herumreißen - Puhle droht lange Pause - 'RPP - Ambulantes Therapie- und Reha-Zentrum' und AggerEnergie präsentieren die Berichterstattung über den VfL Gummersbach.
Von Peter Notbohm

Der gute Saisonstart des VfL Gummersbach ist passé. Vier Siegen stehen nach der Niederlage gegen Leipzig mittlerweile fünf erfolglose Auftritte gegenüber. Während die ostdeutschen Gäste den fünften Rang mit 11:5 Punkten festigen, finden sich die Oberberger mit 8:10 Punkte im Ligamittelfeld wieder und müssen allmählich aufpassen nicht in den Abstiegssog mit hineingezogen zu werden. Zu Platz 16 sind es nur noch drei Punkte Vorsprung.

VfL Gummersbach – SC DHfK Leipzig 22:24 (12:15).

[Andreas Schröder versuchte viel, war als einziger echter Shooter aber nicht effektiv genug.]

Mit leicht zitternder Stimme, die Augen nervös zuckend und sichtbar angefasst saß VfL-Trainer Emir Kurtagic nach dem Spiel auf der Pressekonferenz. Dem Handballlehrer war anzumerken, dass er versuchte, seine Emotionen nach nervenaufreibenden Schlussminuten zu kontrollieren. Doch irgendwann platzte es aus ihm heraus und er sprach aus seiner Sicht Klartext: „Die Schiedsrichter waren von der ersten bis zur letzten Minute eine Katastrophe! Mich würde interessieren, ob diese Entscheidungen in Leipzig andersrum genauso gefallen wären.“ In dasselbe Horn stieß auch Manager Frank Flatten. Doch nachdem der erste Frust verraucht war, musste auch Kurtagic zugeben, dass sein Team sich die Niederlage durchaus selbst zuzuschreiben hatte. Daran änderten auch die aus VfL-Sicht umstrittenen Schlussminuten wenig, in denen die Oberberger kurzzeitig mit zwei gegen sechs agieren mussten.



[Simon Ernst war mit Abstand gefährlichster Gummersbacher und ging als Anführer voran.]

Kämpferisch konnte man dem Gummerbacher Team gegen einen taktisch variablen Gegner nur wenig vorwerfen, doch die Ausfälle von Julius Kühn, Kevynn Nyokas und Christoph Schindler waren spielerisch letztlich nicht zu kompensieren. Dies sollte sich bereits in den Anfangsminuten bemerkbar machen, in denen Simon Ernst den Alleinunterhalter gab und die ersten drei VfL-Treffer erzielte. Leipzig agierte clever, störte den Mittelmann fortan früher und zeigte zudem ein stark vorgetragenes Gegenstoßspiel. Dennoch blieben die Blau-Weißen bis zum 6:7 (16.) durch Evgeni Pevnov auf Schlagdistanz. Den ersten Cut im Spiel sollte nun die erschreckend schwache rechte Seite des VfL einleiten. Mark Bult strahlte kaum Torgefahr aus, agierte lediglich als Anspielstation und Florian von Gruchalla kassierte auf seiner Abwehrseite nicht nur vier Gegentreffer, sondern ließ auch selbst drei Chancen sträflich liegen.

Die ostdeutschen Gäste bedankten sich artig und erhöhten den Vorsprung auf 6:11 (21.), ehe Kurtagic das Duo erlöste und mit Matthias Puhle auch den glücklosen Carsten Lichtlein ersetzte. Leipzig agierte aber weiter wie aus einem Guss und erhöhte gar zum 8:14 (27.). Ein kleines Debakel deutete sich an, der VfL startete nun aber die Aufholjagd und Florian Baumgärtner wässerte das Pflänzchen Hoffnung noch einmal kräftig mit einem schönen Wurf zum 12:15 vier Sekunden vor der Pause. Und auch frisch aus den Kabinen kamen die Hausherren mit viel Selbstbewusstsein. Kurtagic ließ die Leipziger Angriffsbemühungen nun verstärkt durch eine 5:1-Defensive mit Indianer Alexander Becker stören, während Schröder, Schmidt und Ernst den 15:15-Ausgleich (38.) besorgten.
[Emir Kurtagic haderte nicht nur mit den Strafen in den Schlussminuten, sondern sah sich auch bei der Bewertung des passiven Spiels benachteiligt.]

Die Schwalbe Arena bebte und DHfK-Taktikfuchs Christian Prokop reagierte umgehend und bat seine Mannen zur einminütigen Unterweisung an die Seitenlinie. Auch hier sollten die Änderungen fruchten. Nach einer Zeitstrafe gegen Ernst, einem zu lässigen Siebenmeter von Kevin Schmidt sowie einem Pfostentreffer Baumgärtners wurde es beim 15:18 (41.) wieder leiser im weiten Rund. Becker zeigte eine ungewöhnliche und wenig wirkungsvolle Interpretation des vorgezogenen 5:1-Indianers, so dass Leipzig immer wieder zu viel zu einfachen Toren durch den Innenblock kam. Beim 18:21 (52.) nahm Kurtagic seine letzte grüne Karte und läutete damit die nervenaufreibende Schlussphase ein, in der letztlich die bis dahin unauffälligen Schiedsrichter im Mittelpunkt stehen sollten.

Nach dem 19:21 (54.) durch Andreas Schröder und einer bärenstarke Parade Puhles, der den Ball mit einem grandiosen Reflex aus dem Eck fischte, verkürzte Kevin Schmidt zum 20:21 (56.). Es folgten innerhalb von 50 Sekunden Zeitstrafen gegen Simon Ernst, Andreas Schröder und Tobias Schröter, wobei allenfalls die letzte Strafe ein wenig diskutabel war. Der negative Höhepunkt im mittlerweile gellenden Pfeifkonzert der VfL-Fans sollte allerdings noch folgen. Matthias Puhle stürmte bei einer Abwehraktion übertrieben nach vorne und sprang den Leipziger Lukas Binder über den Haufen. Nicht nur, dass sich der Keeper hierbei wahrscheinlich schwerer verletzte – er musste sofort zur Untersuchung ins Krankenhaus gebracht werden – die Schiedsrichter entschieden zudem völlig zu Recht auf eine Rote Karte gegen den Schlussmann.

[Robert Barten feierte ein glänzendes Debüt in der ersten Liga. Der Drittligaspieler hinterließ defensiv einen ganz starken Eindruck und holte sich ein Sonderlob von seinem Trainer ab.]

Zwar konnte Carsten Lichtlein den folgenden Siebenmeter und auch den Nachwurf parieren, doch im dritten Versuch gelang Leipzig der erlösende Treffer. In vierfacher und dreifacher Unterzahl versuchte Gummersbach zwar noch einmal alles, doch spätestens als der ausgelaugte Andreas Schröder unter passivem Vorwarnzeichen eine Minute vor dem Ende den Ball über das Tor jagte, war die Partie entschieden und Gummersbach kassierte die vierte Niederlage in Folge. Und das nicht einmal unverdient. Neben einem katastrophalen Überzahlspiel fehlten den Oberbergern gerade aus der zweiten Reihe die Alternativen, auch wenn Kurtagic fast jeden taktischen Kniff aus dem Hut zog. Ernst und Schröder waren zu sehr auf sich allein gestellt, Baumgärtner merkte man an, dass er zu selten mit dem VfL-Team trainiert. Einen echten Lichtblick brachte die Partie aber wenigstens noch hervor. Robert Barten, Abwehrchef der Drittligareserve des VfL, hinterließ einen hervorragenden Eindruck in der Defensive und empfahl sich für weitere Einsätze.

Gummersbach: Simon Ernst (6), AAndreas Schröder (5), Kevin Schmidt (5/3), Evgeni Pevnov, Florian Baumgärtner (je 2), Tobias Schroeter, Alexander Becker (je 1).

Leipzig: Lukas Binder, Franz Semper, Max Janke (je 5), Niclas Pieczkowski (4), Christoph Steinert (3/2), Roman Becvar, Alen Milosevic (je 1).

Siebenmeter
3/5 – 2/4 (Schmidt und Steinert scheitern jeweils 2x)

Strafen
10:12 Minuten (Puhle (Rot), 2x Ernst, Schroeter, Schröder – 3x Roscheck (Rot), Jurdzs, Pieczkowski, Milosevic)



Ergebnisse und Tabelle


 Stimmen

Christian Prokop (Trainer Leipzig): Es war eine große Herausforderung, unseren positiven Lauf hier fortzusetzen. Wenn man gesehen hat, wer beim VfL fehlte, war es auch eine mentale Herausforderung. Wir mussten uns auf uns konzentrieren, was uns vor allem in den ersten 30 Minuten sehr gut gelungen ist. Das war unglaublich variabel und druckvoll mit konzentrierten Abschlüssen gegen starke Torleute und die beste Angriffsleistung der gesamten Saison. Nach der Pause drehte sich das Blatt aber sehr schnell. Emir stellte auf eine variable Abwehr um und wir versuchten nur zu verwalten. Schwuppdiwupp ist die Schwalbe Arena ein Hexenkessel. Diese Drucksituation haben wir aber gemeistert. In der Schlussphase gab es einige unschöne Szenen, die man im Handball eigentlich nicht sehen will. Ich bin froh, dass wir einen kühlen Kopf behalten haben und die Punkte geholt haben.

Emir Kurtagic (Trainer Gummersbach): Christian hat alles gesagt, was auf dem Feld passiert ist. Er nennt es unschöne Szenen. Ich sehe einen Spieler, der springt und im Kreis landet. Sicher gibt es einen Kontakt, aber für mich ist das Tor ab, weil es erst danach eine Berührung gibt. In den letzten fünf Minuten bekommen wir vier Zeitstrafen. Ich weiß nicht, was da war, will aber versuchen unsere Fehler zu analysieren. Wir hatten Probleme auf der Torhüterposition und haben im Angriff klarste Chancen, darunter drei frei Würfe von Rechtsaußen nicht genutzt. Die Jungs haben sich aber aus der Situation gekämpft. Am Ende fehlte uns das Glück. Wir lassen Siebenmeter und weitere Chancen liegen und schaffen es nicht, die gekippte Atmosphäre für uns zu nutzen. Ich bin nicht über meine Jungs enttäuscht. Die haben alles gegeben in unserer Situation. Für mich führen andere Dinge zu meiner Enttäuschung. Das war wirklich ein sehr schlechtes Spiel heute. Danke an das Publikum, das uns in dieser Phase getragen hat. Jetzt müssen wir uns auf Lemgo vorbereiten und wieder versuchen zu punkten.

Karsten Günther (Geschäftsführer Leipzig): Glückwunsch an unsere Mannschaft. Wenn man in Gummersbach, in so einer aufgeheizten Stimmung Handball spielt, nötigt das großen Respekt ab. Ich möchte alle Beteiligten bitten, Ruhe zu bewahren. Es wird nun viel über die Schiedsrichter geredet. Lasst uns runterkommen und das Video anschauen. Da gibt es nämlich zwei sehr unterschiedliche Sichtweisen. Das Spiel wurde auf der Platte entschieden. Wir gehen weiter unseren Weg.

Frank Flatten (Geschäftsführer Gummersbach): Wir wussten vorher, dass es mit den personellen Ausfällen schwierig wird. Ich habe heute aber auch eine ganz starke Leistung des jungen Robert Barten gesehen. Leipzig ist eine sehr sympathische Mannschaft. Ich denke, dass wir die Szenen gesehen haben. Solche Schiedsrichter würde ich mir auch auswärts einmal wünschen. Wir hatten keinen Heimbonus. Es hat uns sehr viel Kraft gekostet dagegen zu halten. Leipzig hat das sehr clever gemacht und die Punkte verdient geholt.
  
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