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Seltene Betten fürs Atmen-Lernen

fj; 4. Apr 2014, 15:48 Uhr
Bilder: Fenja Jansen --- (v. li.) Chefarzt Dr. Markus Ebke (re.) mit seinen Mitarbeitern (v. li.) Krankenschwester Gisela Schneider, Krankenpfleger und Medizinpordukte-Beauftragter Marc Hertzer und Krankenschwester Gudrun Schneider auf der Beatmungsstation der Neurologie.
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Seltene Betten fürs Atmen-Lernen

fj; 4. Apr 2014, 15:48 Uhr
Nümbrecht – Seit Anfang April hält die Dr. Becker Rhein-Sieg-Klink auf ihrer neurologisch-neurochirurgischen Früh-Reha-Station Plätze für beatmungspflichtige Patienten vor und schließt damit eine Versorgungslücke in der Region.
Die 1960er Jahre: Weder gibt es einheitliche Notrufnummern, noch Notrufsäulen oder gar Handys. Manchmal dauert es Stunden, bis ein Patient ins Krankenhaus gelangt. Unter anderem für Patienten mit schweren Hirnschädigungen, die nach einem Schlaganfall oder einem Schädel-Hirn-Trauma auftreten können, bedeutete dies oft den Tod. Glücklicherweise gehören diese Zeiten der Vergangenheit an. „Dass Menschen nach einem Schlaganfall oder schwerem Unfall schneller ins Krankenhaus kamen, erhöhte die Überlebenschancen um ein Vielfaches. Doch so sah sich die Medizin Patienten gegenüber, die im Koma lagen und weder sprechen, noch schlucken oder atmen konnten“, erklärt Dr. Markus Ebke, Chefarzt für Neurologie an der Dr. Becker Rhein-Sieg-Klinik in Nümbrecht.

Diese Patienten brauchen nach ihrer Akutbehandlung, die im Krankenhaus erfolgt, eine intensive weiterführende Versorgung. Bedeutete Reha damals zumeist Aufenthalte in Kurorten mit Kneipgängen und Heilbädern, hilft sie Betroffenen heute, solch verloren gegangene Fähigkeiten wieder zu erlernen. Durch die neurologische Frührehabilitation kann Pflegebedarf verhindert und Folgeschäden wie versteifende Kontrakturen der Gelenke, Verkürzungen der Sehnen und Muskeln, wiederholt auftretende Lungenentzündungen bei Schluckstörungen und Hautgeschwüre vermieden werden.


[Dr. Markus Ebke fordert mehr Frührehabetten für NRW.]

Dabei gilt: Je früher die Reha-Maßnahmen einsetzen, desto besser sind die Erfolgsaussichten. Darum können neurologisch schwerstbetroffene Patienten in der Rhein-Sieg-Klinik direkt im Anschluss an ihre Akutversorgung behandelt werden, auch wenn sie noch im Koma liegen und beispielsweise noch nicht wieder schlucken können. 30 Betten hält die Klinik für diese Patienten vor. Neu ist seit Beginn des Monats, dass die Klinik auch Patienten aufnehmen kann, die noch nicht wieder selbstständig atmen können. Vier Betten hält die Klinik hierfür ab sofort bereit. Das sind nicht viele – trotzdem schließt die Klinik damit eine Versorgungslücke in der Region. Denn während die intensivmedizinische Versorgung von Hirnverletzungen in Nordrhein-Westfalen als vorbildlich bezeichnet werden kann, haben die Betroffenen danach oft erhebliche Probleme, ein Bett zur Frührehabilitation zu bekommen.



Rund 700 solcher Betten fehlen in NRW laut einer Studie, die die Landesarbeitsgemeinschaft Neurorehabilitation Nordrhein-Westfalen (LAG) in Auftrag gegeben hat. „In NRW kommt auf 55.000 Einwohner gerade einmal ein neurologisches Frührehabett. Mit diesem Wert bilden wir bundesweit das absolute Schlusslicht im Ländervergleich“, erklärt Ebke, der zu den Gründungsmitgliedern der LAG gehört. „Des Weiteren belegen Studien, dass in NRW 47 Prozent der schwerstbetroffenen neurologischen Patienten ohne weiterführende Reha direkt in eine Pflegeversorgung, zumeist in ein Pflegeheim gehen. Auch das ist im Ländervergleich eine ungewöhnlich hohe Zahl. In der neurologischen Frührehalandschaft muss sich also dringend etwas tun“, so der Mediziner.

Für diese Minderversorgung für Patienten mit schweren Hirnschädigungen in NRW will die LAG in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein schaffen. „In anderen Bundesländern ist die Beatmung von Patienten in der Reha ganz normal. In Nordrhein-Westfalen haftet der Reha immer noch der alte Kur-Stempel an, die neurologische Frührehabilitation gehört noch nicht zum Standard. Bislang konnten wir beatmungspflichtige Patienten nur im Rahmen von Einzelfallentscheidungen mit vorliegender Kostenzusage gestatten“, erklärt Ebke. Vor diesem Hintergrund sind die nun vorhandenen vier Betten ein großer Schritt. Doch die LAG fordert nicht nur mehr Betten, damit Patienten nicht weiterhin in Kliniken außerhalb der Grenzen NRWs, teils weit entfernt von ihren Angehörigen, verlegt werden müssen, sondern auch Rechtssicherheit. „Die neurologische Frühreha muss in den Krankenhausplan aufgenommen werden – ohne Wenn und Aber. Nur so kann das Versorgungsdefizit in NWR geschlossen werden“, ist sich Ebke sicher.


Weitere Informationen zur LAG und ihren Zielen unter www.neuroreha-nrw.de.
  
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