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Florian von Gruchalla krönt Herzschlagfinale

pn; 22. Nov 2014, 23:30 Uhr
Bilder: Michael Kleinjung ---- Der Jubel kannte nach dem Abpfiff keine Grenzen bei Alexander Becker und Matthias Puhle.
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Florian von Gruchalla krönt Herzschlagfinale

pn; 22. Nov 2014, 23:30 Uhr
Gummersbach - Die Schwalbe-Arena erlebt ein völlig verrücktes Spiel, in dem der VfL einen Vier-Tore-Rückstand dreht - 'RPP - Ambulantes Therapie- und Reha-Zentrum' und die Sparkasse Gummersbach-Bergneustadt präsentieren die Berichterstattung über den VfL Gummersbach. (AKTUALISIERT)
Von Peter Notbohm

29:28 – das sind die nackten Zahlen eines verrückten Handballspiels. Gastiert der TBV Lemgo in der Schwalbe-Arena scheint der pure Wahnsinn vorprogrammiert. War es letztes Jahr noch Borko Ristovski, der mit drei gehaltenen Siebenmetern in den Schlussminuten für ein Spektakel sorgte, war es diese Saison die gesamte Mannschaft, die eigentlich bereits klinisch tot, das Ruder noch einmal rumreißen konnte. Während der VfL Gummersbach mit nunmehr 16:14 Punkte Kontakt zu den Europapokalplätzen hält, bleiben die ostwestfälischen Gäste mit sechs Zählern auf den Abstiegsrängen hängen.



VfL Gummersbach – TBV Lemgo 29:28  (17:15).

[Joakim Larsson hatte keinen einfachen Stand gegen die TBV-Defensive]

Handball ist auch ein Nervenspiel. Diese leidvolle Erfahrung musste heute Abend der TBV Lemgo in Gummersbach machen. Fünf Minuten vor dem Ende war es mucksmäuschenstill geworden in der Schwalbe-Arena. Lediglich der kleine Lemgoer Fanblock hinter dem Tor von Nils Dresrüsse sorgte beim 24:28 (53.) für ordentliche Stimmung im weiten Rund der VfL-Halle. Kaum ein VfL-Fan hätte zu diesem Zeitpunkt noch auf die eigene Mannschaft wetten wollen. Doch während die Gäste nun zusehends nervöser wurden, fing für das Team von Emir Kurtagic ein fünfminütiger Husarenritt an, den Florian von Gruchalla schlussendlich krönen sollte.

Dabei hätte es gar nicht so weit kommen müssen. Denn im Duell der beiden jüngsten Mannschaften der Liga hatte Gummersbach eigentlich bereits alle Karten in der Hand gehabt, diese nach einer insgesamt äußerst nervösen und durchwachsenen Leistung aber auch wieder hergeschenkt. Lemgo verzichtete überraschend von Anfang an auf Ausnahmekreisläufer Hendrik Pekeler, der nach schlechten Trainingseindrücken unter der Woche, von seinem Trainer Niels Pfannenschmidt auf der Bank schmorren gelassen wurde. Die Gastgeber schöpften dagegen aus dem Vollen und gingen durch einen Treffer von Mark Bult mit 1:0 in Führung.

[Julius Kühn machte nach seiner Einwechslung zunächst eine starke Partie, sorgte mit vier Fehlschüssen in Folge aber auch dafür, dass die Partie zu Gunsten Lemgos kippte.]

Während die Gäste in der Anfangsphase ausnahmslos über die beiden Außen Tim Hornke und Patrick Zieker zu Treffern kamen, überzeugte der VfL zunächst vor allem aus dem Rückraum. Bis zum 6:6 (10.) blieb es ein Duell auf Augenhöhe, in dem beide Teams sich schon so manchen Fehler geleistet hatten. Angetrieben durch einen parierten Siebenmeter war es nun einmal mehr Carsten Lichtlein, der gegen seine Ex-Kollegen zu großer Form auflief. Zwar ließ von Gruchalla einen Gegenstoß nach einer Lichtlein-Parade noch fahrlässig liegen, doch nach zwei gehaltenen Würfen gegen Finn Lemke und den nimmermüden Timm Schneider machte es der flinke Raul Santos besser und netzte zum 10:7 (15.) ein. In Überzahl sollte sogar das zwischenzeitliche 13:8 durch einen verwandelten Siebenmeter von Mark Bult folgen.

Doch die höchste Führung der Partie sorgte keineswegs für Sicherheit bei den Gastgebern. Während Lemgo nun endlich begann, die Wurfkraft des hünenhaften Finn Lemke sinnvoller einzusetzen, wirkten die VfL-Profis ein wenig müde und ließen die Gäste zum 14:12 (23.) verkürzen. Dank Lichtlein blieb es aber beim knappen Vorsprung. In Unterzahl – Julius Kühn drückte die Strafbank - hatten die Hausherren zudem das Glück auf ihrer Seite, nachdem Lemgo nun extrem offensiv agierte und den VfL so ins passive Spiel zwang. Raul Santos Wurf wurde zunächst geblockt, den Abpraller verwandelte der Linksaußen dann aber souverän zum 17:14. Die Gäste verkürzten zwar erneut durch Rolf Herrmann, hatten aber auch Pech, dass der letzte Tempogegenstoß jäh von der Halbzeitsirene unterbunden wurde.


[Carsten Lichtlein lief im ersten Durchgang zu großer Form auf - Sein Pendant Matthias Puhle leitete mit starken Paraden die Aufholjagd ein.]

Doch beim VfL war nun ein nicht mehr zu bändigender Wurm im Spielaufbau. Beim 19:19 (36.) fiel erstmals der Ausgleich. Dabei tat Lemgo den Gummersbachern sogar noch den Gefallen, sich selbst zu schwächen. Die Gäste, die in Unterzahl mehrfach mit dem siebten Feldspieler agierten, produzierten einen überhasteten Pass ins Seitenaus. Beim folgenden schnellen Wechsel sah Spielaufsicht Uwe Stemberg Thomas Bauer zu früh auf der Platte und ließ den Torhüter mit einer Zeitstrafe belegen. Ein Geschenk, dass der VfL dankend zum 21:19 (38.) annahm. Nun reihte sich allerdings Unzulänglichkeit an Unzulänglichkeit.

Beide Offensivreihen geizten nicht mit Fehlwürfen, wobei Lemgo wieder besser ins Spiel fand und durch Benjamin Herth abermals zum 22:22 (44.) ausgleichen konnte. Emir Kurtagic versuchte zwar mit einer Auszeit gegenzusteuern, doch bezeichnender hätte der nächste TBV-Treffer kaum fallen können. Zunächst scheiterte Herrmann an Lichtlein, doch für den Abpraller fühlte sich kein VfL-Akteur verantwortlich, so dass Herrmann doch noch zum 22:23 einnetzte. Den Hausherren schwammen allmähliche die Felle davon. Beim 24:26 (50.) versuchte es Kurtagic mit einem Torhüterwechsel, nachdem Lichtlein im zweiten Durchgang kaum noch einen Ball gesehen hatte. Doch auch Matthias Puhle musste zunächst mitansehen, wie Schindler, Jonsson und Becker teils kläglich an eigenen Fehlern oder am immer stärker werdenden Nils Dresrüsse scheiterten.
[Am Anfang noch mit Ladehemmungen, doch als es wichtig wurde, war auf Florian von Gruchalla Verlass.]

Als dann auch noch Raul Santos sich zum wiederholten Mal in der Defensive völlig verspekulierte, Arnoldus Haenen zum 24:28 (53.) traf und Schröder vorne völlig hektisch abschloss, schien die Partie gelaufen. Doch Lemgo bekam nun Angst vor der eigenen Courage, wie es TBV-Trainer Pfannenschmidt nach dem Spiel ausdrücken sollte. Ein technischer Fehler von Lemke, drei starke Puhle-Paraden und plötzlich hatten die Kreisstädter beim 27:28 (58.) durch Gunnar Stein Jonsson wieder Lunte gerochen. Ein anfängerhafter Fangfehler Haenens sorgte in der Folge sogar dafür, dass der bis dahin abschlussschwache Alexander Becker zum Ausgleich traf. Nach einem erneuten Fehlpass Ziekers war es dann der bereits erwähnte von Gruchalla, der die VfL-Fans in Ekstase versetzen sollte. Der letzte Lemgoer Wurf landete 15 Sekunden vor dem Ende nur noch krachend am Pfosten.

Der Rest war geballte VfL-Glückseligkeit. Auf der lange andauernden Ehrenrunde mit den Fans wussten die meisten Spieler wahrscheinlich selbst noch nicht ganz, wie man dieses verrückte Spiel letztlich doch drehen konnte.


Stimmen

Niels Pfannenschmidt (Trainer TBV Lemgo): Glückwunsch an den VfL. Emir ich finde, Du machst hier einen ganz tollen Job. Für uns ist es natürlich bitter. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Mitleid ist auch nicht immer toll. Wir werden Woche für Woche gelobt, schaffen es aber nicht und haben keine Punkte. Doch diese Punkte werden wir holen! Unsere Leistung war heute wieder gut, wir sind nur nicht belohnt worden.

Christian Spidrik (Geschäftsführer TBV Lemgo): Schöne Bescherung kann man da nur sagen. Letztes Jahr war es schon so ein Doppelherzspiel und jetzt wieder mit dem ungünstigeren Ausgang für uns. Niels hat die Mannschaft top eingestellt und das hat man nach dem hohen Rückstand auch bewiesen. Wir dürfen jetzt alles machen, nur nicht uns mit dem Taschentuch in die Ecke stellen. Wir müssen es einfach schaffen, diese vorhandene Qualität auf die Platte zu bringen. Wir bleiben optimistisch, auch wenn es derzeit nicht gut aussieht. Wir werden weiter kämpfen.

Emir Kurtagic (Trainer VfL Gummersbach): Danke für die Glückwünsche. Solche Spiele erlebt man nicht jeden Tag. Ich kann die Situation von Lemgo sehr gut nachvollziehen. Das hatten wir in den letzten zwei Jahren. Ich hatte und habe riesen Respekt vor Lemgo. Das ist eine sehr starke Mannschaft. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann bei ihnen der Knoten platzt. Man darf nicht vergessen, was sie für ein Verletzungspech haben. Für uns war die Gefahr, sie aufgrund des Punktekontos zu unterschätzen. Der Angriff war in der ersten Hälfte gut. In der Abwehr waren wir heute etwas passiv und haben viele unnötige Tore bekommen. Lemgo kam dann dran und es wurde ein offenes Spiel über 60 Minuten. Wir haben zunehmend den Zugang über das Spiel verloren. Trotz des Vier Tore Rückstands haben meine Jungs aber nicht aufgegeben und bis zur letzten Sekunde gefightet. Das Glück war am Ende auf unserer Seite.

Frank Flatten (Manager VfL Gummersbach): Heute ist natürlich ein guter Tag für den VfL Gummersbach. Wir haben heute das Duell der zwei jüngsten Teams der Liga gesehen. Dementsprechend nervös und überhastet war es. Wir haben nach dem Rückstand aber nicht aufgegeben und mit der Halle im Rücken Lemgo zu Fehlern gezwungen. Dafür danke an unsere Zuschauer. Ich denke, dass beide Vereine auf einem sehr guten Weg sind mit dem Verjüngungsprozess und auch Lemgo noch seine Punkte holen wird.



VfL Gummersbach

Carsten Lichlein (1.-50. Minute,11 Paraden, darunter ein Siebenmeter)
Matthias Puhle (50.-60 Minute, 4 Paraden)
Tobias Schröter (n.e.)
Simon Ernst
Julius Kühn (4)
Christoph Schindler (1)
Magnus Persson (1)
 Joakim Larsson (1)
Gunnar Stein Jonsson (1)
Florian von Gruchalla (5)
Mark Bult (5/3)
Alexander Becker (1)
Andreas Schröder (3)
Raul Santos (7)

TBV Lemgo

Thomas Bauer (10.-37., 39-40. Minute, 6 Paraden, darunter ein Siebenmeter)
Nils Desrüsse (1.-10., 37-39, 40.-60. Minute, 8 Paraden)
Tim Hornke (5)
Tim Suton (1)
Timm Schneider (3)
Rolf Hermann (5)
Hendrik Pekeler
Finn Lemke (4)
Benjamin Herth (2)
Arnoldus Haenen (3/1)
Max Höning
Patrick Zieker (5)
Marcel Niemeyer

Zuschauer:
3758.

Schiedsrichter:
Lars Geipel / Marcus Helbig.

Siebenmeter
4:2 3:1 (Santos Scheitert an Bauer – Hornke scheitert an Lichtlein).

Strafen
8:8 Minuten (2x Kühn, Ernst, Larsson – Niemeyer, Schneider, 2x Herrmann).

Beste Spieler
Lichtlein (1Hz), Puhle – Dresrüsse, Zieker


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