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Nichtstun ist eine Kunst

bv; 1. Apr 2019, 13:41 Uhr
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Nichtstun ist eine Kunst

bv; 1. Apr 2019, 13:41 Uhr
Oberberg - Und wieder redet unser 'Drickes' Klartext - Liebenswürdig, direkt und nachdenklich spießt er den Alltag auf - Heute geht es um das Hamsterrad und den oft verlernten Müßiggang.
Wer kennt das nicht? Montags rappelt man sich aus dem Bett – und hat den Kaffee schon auf, bevor man an ihn auch nur gedacht, geschweige denn getrunken hat. Termine, Verpflichtungen, ein volles Mail-Postfach, WhatsApp-Nachrichten, dazu nötige Informationen über das Weltgeschehen und den lokalen Fußballverein einholen, die Kinder haben Termine, Behördenkram ist zu erledigen, ach ja, verheiratet ist man auch noch. Es droht wieder einmal das wöchentliche Hamsterrad der Beschleunigungsgesellschaft. Leben im Zustand der Hetze, wie ein verängstigtes Tier, getrieben zwar nicht von einer todbringenden Meute mit gefletschten Zähnen, aber doch von den Erwartungen einer Gesellschaft, die immer mehr erledigt sehen will.

Man muss nur das Mail-Aufkommen betrachten, um sich die Dimensionen zu verdeutlichen. 2009 waren es 171 Milliarden Mails, die täglich verschickt wurden. Zehn Jahre später sind es schon 280 Milliarden, Tendenz steigend. 3,8 Milliarden E-Mail-Nutzer gibt es. Das ist knapp die Hälfte der gesamten Weltbevölkerung. Bis 2022 werden diese bis auf 4,6 Milliarden Menschen steigen, schätzen Fachleute.

Multitasking ist das Leitmotiv unserer Zeit, ein Mensch soll vieles können – und zwar bitteschön gleichzeitig. Das heißt, es gilt in wenigen Augenblicken sein Gehirn umzustellen auf völlig neue Herausforderungen, dabei aber das Begonnene und nicht Fertiggestellte nicht aus den Augen zu verlieren. Hinzu kommt die beruflich wie privat beinahe schon erwartete ständige Erreichbarkeit – und natürlich der ständige Termindruck. Schon Jugendliche haben einen digitalen Terminkalender, der noch vor zwei Jahrzehnten einer Unternehmens-Führungskraft zur Ehre gereicht hätte. Erste Folge des ganzen: Der Druck wird immer größer. Zweite Folge: Wir sehen keinen Weg mehr aus dem Hamsterrad der Geschäftigkeit. Dritte Folge: Körper und Psyche verweigern den Dienst: Die Zahl der Burnouts steigt stetig.

Wir haben den Müßiggang verlernt, können offenbar gar nicht mehr innehalten. Sich Zeit zu nehmen, um einfach einmal nichts zu tun, der Seele Freiraum zu gewähren, das zu machen, wonach uns beliebt – wer kann sich das noch leisten, was eigentlich der Ursprung jeder Kreativität ist? Unsere hektischen Gewohnheiten haben uns quasi süchtig gemacht. Selbst Wellness und Fitness binden wir minutengenau in unseren Alltag ein. Muße dagegen schafft keinen monetären Mehrwert, sondern einen ideellen. Leerlauf, das Herunterfahren aller Programme ist quasi systemerhaltend. Doch das in einer Leistungsgesellschaft zu praktizieren, die eine Maximierung sämtlicher Lebensbereiche – auch der privaten – anstrebt, ist immens schwer.

Dennoch, riskieren Sie die tägliche kleine Revolution, schwimmen Sie gegen den Strom, lassen Sie die Seele baumeln, verstehen Sie Muße als Chance, aus dem „System“ auszubrechen – so wie Sie das gerade tun, beim Lesen dieses kleinen Artikels. 


Herzlichst

Ihr Drickes

Bernd Vorländer  
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