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Ist eine Impfpflicht sinnvoll?

fj,ls; 18. Apr 2019, 13:15 Uhr
Symbolbild: Archiv.
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Ist eine Impfpflicht sinnvoll?

fj,ls; 18. Apr 2019, 13:15 Uhr
Oberberg – Der Masernausbruch in der Region gilt offiziell als beendet – Ärzte und Politik sind sich einig: Weitere Ausbrüche können nur durch eine hohe Durchimpfungsrate verhindert werden – doch wie kann man diese erreichen?
Von Fenja Jansen und Leif Schmittgen

Der Masernausbruch im Oberbergischen Kreis gilt offiziell als beendet. Dies teilte das Gesundheitsamt des Kreises auf Nachfrage dieser Zeitung mit: „Ein Ausbruchsgeschehen gilt als beendet, wenn innerhalb der Inkubationszeit der Erkrankung keine neuen Fälle aufgetreten sind“, erklärt Amtsärztin Kaija Elvermann. Die Inkubationszeit bei Masern beträgt 21 Tage. Die letzte Neuregistrierung eines Erkrankten liege dabei deutlich länger zurück.

Die ersten Masernfälle waren im vergangenen Dezember in Waldbröl bekannt geworden, als Ausgangspunkt der ansteckenden Krankheit gilt ein Weihnachtsgottesdienst einer freikirchlichen Gemeinde in Meinerzhagen (OA berichtete). Von hier aus verbreite sich die Krankheit laut Elvermann zunächst unter jungen Kindern, dann aber auch unter Jugendlichen und Erwachsenen. Insgesamt 19 Masernfälle gab es im Oberbergischen, insgesamt waren es in den drei betroffenen Kreisen (Oberberg, Märkischer Kreis, Rhein-Sieg-Kreis) 94 Erkrankte.


Bis der Ausbruch als beendet erklärt werden konnte, haben die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes und die niedergelassenen Ärzte alle Hände voll zu tun: In Schulen wurden Impfausweise kontrolliert und in Praxen zahllose Aufklärungs- und Beratungsgespräche geführt. „Nach Rückmeldung von Ärzten und Kollegen hat sich die Impf-Nachfrage deutlich erhöht. Die Menschen scheinen den Ausbruch zum Anlass genommen zu haben, sich mit ihrem eigenen Impfschutz zu beschäftigen“, so Elvermann. Die Gruppe der Erkrankten lasse sich im Kreis nicht auf Impfgegner beschränken, vielmehr handelte es sich um Kinder, die zu jung waren, um sie impfen zu lassen, oder Erwachsene, die nicht ausreichend oder gar nicht geimpft waren, so Elvermann. Vielleicht, weil sie das Thema „Impfen“ schlichtweg nicht mehr auf dem Schirm hatten.

Wenn es nach Karl-Josef Laumann, Gesundheitsminister des Landes Nordrhein-Westfalen ginge, wäre die Frage, ob das Impfen nur vergessen wurde oder generell abgelehnt wird, bald hinfällig: Er hat sich öffentlich für die Einführung einer Impfpflicht gegen Masern für Kinder in Kindergärten ausgesprochen. In der vergangenen Woche wurde in Brandenburg die Masern-Impflicht für alle Kinder beschlossen und auch die Bundesregierung prüft die Möglichkeiten zur Einführung einer deutschlandweiten Impfpflicht gegen Masern. „Es gibt Gründe für und gegen eine Impfpflicht. Darum muss diese Entscheidung tatsächlich von der Politik getroffen werden“, enthält sich Elvermann einer Stellungnahme zu den Plänen der Landes- und Bundespolitik.


[Archivbild --- Dr. Ralph Krolewski, Vorsitzender des Oberbergischen Hausärzteverbandes, hat seine Praxis in Gummersbach-Bernberg.] 

Ralph Krolewski, niedergelassener Arzt und Vorsitzender des Hausärzteverbandes Oberbergischer Kreis, äußert seine Meinung dagegen offen: „Nur eine hohe Durchimpfungsrate bietet der ganzen Gemeinschaft Schutz gegen die Masern. Daher werden wir um eine Pflicht nicht herumkommen. Denn es ist die Aufgabe der Politik, die Bevölkerung durch eine aktive Gesundheitspolitik zu schützen. Dem muss sie nachkommen“, findet er und beschränkt sich dabei längst nicht nur auf die Masern. Krolewski ist überzeugt, dass in Deutschland aufgrund des Klimawandels schon bald Krankheiten auftreten werden, die es hierzulande bislang nicht gab. Diese könnten beispielsweise Stechmücken, die aufgrund steigender Temperaturen auch in Deutschland heimisch werden, einschleppen und übertragen. „Zwischen Klimawandel und Gesundheit besteht ein direkter Zusammenhang. Hier ist das Handeln der Politik gefragt: durch Maßnahmen zum Klimaschutz genauso wie durch die Einführung von Impfpflichten.“


[Archivbild: Fenja Jansen --- Dr. Jörg Nase spricht sich für eine indirekte Einführung der Impfpflicht aus.]

Der Bergneustädter Kinderarzt Dr. Jörg Nase meint, dass Kita- und Schulträger sich freiwillig für eine Impfpflicht an ihren Einrichtungen aussprechen sollten. Das würde eine gesetzliche Regelung überflüssig machen. Es gebe einen kleinen Teil von Eltern, die – sei es aus religiösen Gründen oder wegen Bedenken gegen die Zusatzstoffe in den Medikamenten – eine Impfung ihrer Kinder prinzipiell ablehnen. „Dabei geht es nicht nur um die Gesundheit des eigenen Kindes, sondern eben auch um andere“, sagt der Mediziner.

Die Ansteckungsgefahr müsse eingedämmt werden, das fange bei der eigenen Immunisierung gegen Krankheiten an. Die Säuglingssterblichkeit lag laut Nase Mitte des 19. Jahrhunderts bei geschätzten 20 Prozent, heute bei weit unter einem Prozent: Viele Krankheiten seien dank des nahezu flächendeckenden Schutzes inzwischen ausgerottet.

Dr. Barbara Hütt, Nases Kollegin in derselben Praxis, ergänzt: „Wir müssen auch in Deutschland die sogenannte Herdenimmunität erreichen, aber nicht durch Zwang, sondern auch durch weitere Aufklärung“. Der Zenit sei, entgegen Minister Laumanns Meinung, noch nicht erreicht. Ein „überstülpen“ von Pflichten durch die Politik, würde aus ihrer Sicht mehr Impfgegner auf den Plan rufen. Sie spricht sich, wie ihr Kollege, für die indirekte Impfpflicht, also die Selbstverpflichtung öffentlicher Einrichtungen, aus.

Die Medizinerin, selbst dreifache Mutter, geht mit gutem Beispiel voran: Zwei ihrer Sprösslinge sind bereits immunisiert worden, das jüngste Kind ist noch zu jung. „Ab dem Alter von elf Monaten sollen Babys gegen Masern geimpft werden“, so Hütt. Der Grund: Vorher haben die Säuglinge genügend Immunstoffe von ihren Müttern erhalten, diese gehen erst ab besagtem Alter zurück.

Die Medizinerin zeigt mögliche Wirkungen eines mangelnden Schutzes an einem Beispiel aus ihrem eigenen Patientenkreis auf: Ein Kind musste sich einer Chemotherapie unterziehen, die Wirkung des Serums lies dadurch nach, der Junge erkrankte an Masern, erlitt als Spätfolge eine Gehirnentzündung und ist heute schwerbehindert. Auch wenn in diesem Fall ein trauriges Schicksal und nicht die Fürsorgepflicht schuld war, warnt sie vor möglichen Folgen.

Rund fünf Prozent ihrer Klientel sind unbehandelt, die meisten allerdings aus Unwissenheit oder Nachlässigkeit. Etwa ein Prozent davon seinen wiederum „echte“ Verweigerer. „Wir lassen uns von den Impfgegnern unterschreiben, dass wir sie über alle Risiken aufgeklärt haben“, so Hütt. Argumente, wegen vermeintlich gefährlichen Inhaltsstoffen auf eine Verabreichung zu verzichten, lässt die Expertin nicht gelten: „Natürlich ein ist ein kleiner Teil Aluminium in den Medikamenten erhalten, Kartoffeln sind allerdings von Natur aus um ein Vielfaches höher belastet“, sagt die Kinderärztin.


Amtsärztin Kaija Elvermann appelliert weiterhin an alle Oberberger, den eigenen Impfstatus zu überprüfen: Nur mit einer hohen Durchimpfungsrate sind auch die geschützt, die sich nicht selber gegen Masern impfen lassen können. Sie weist darauf hin, dass bis ins Jahr 2000 angenommen wurde, dass eine einmalige Impfung ausreichend gegen Masern schützt. Unter anderem der Ausbruch in Oberberg hat diese Annahme widerlegt. Alle Personen, die vor 2000 eine einmalige Masernimpfung erhalten haben, sollten mit einem Arzt über eine zweite Impfung sprechen, um den vollständigen Schutz zu erlangen.
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