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Über den Stillstand der Liebe

vma; 19. Apr 2018, 08:35 Uhr
Bilder: Vera Marzinski --- Buchhändler Mike Altwicker freute sich, die Autorin Julia Jessen dem Wiehler Publikum vorstellen zu können.
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Über den Stillstand der Liebe

vma; 19. Apr 2018, 08:35 Uhr
Wiehl - Zur Buchlesung kam die Autorin Julia Jessen in den kleinen Laden „Tante Polly“ - Sie stellte ihren neuesten Roman „Die Architektur des Knotens“ vor.
Von Vera Marzinski

Mit sehr lebendigen Dialogen aus dem Buch „Die Architektur des Knotens“ und einer improvisierten Einführung mit zwei Zeitungstexten – „Ich unterrichte nicht nur Improvisation, ich wende sie auch gerne an“ – fesselte die Autorin Julia Jessen die rund 40 Gäste in dem kleinen Laden „Tante Polly“ im Wiehler Oberdorf. Der Roman beschreibt die Krise, die durch Angst vor einem Stillstand, vor dem leeren Raum innerhalb einer Zweisamkeit entstehen kann. Eine Innenansicht einer ungewöhnlichen Trennung. Es ist der zweite Roman der in Hamburg lebenden Autorin, die 2015 ihr Debüt „Alles wird hell“ veröffentlichte.


[Sehr fesselnd las Julia Jessen aus ihrem Roman und bereitete den Gästen ein brillantes Vorlesevergnügen.]

Julia Jessen, Jahrgang 1974, studierte Literatur und absolvierte eine Ausbildung als Schauspielerin. Sie arbeitete zehn Jahre für Film und Fernsehen – war im „Tatort“ und bei „Soko“ zu sehen -, spielte in mehreren Theaterproduktionen und unterrichtete an verschiedenen Schauspielschulen. Mit ihrer Familie lebt sie in Hamburg. Buchhändler Mike Altwicker holte sie nach Wiehl, nachdem er kürzlich ihren Roman bei „Deutschlandfunk Kultur“ als sein Highlight des Frühjahres vorgestellt hatte. Das Buch sei ein Hammer, um das Eis in uns zu brechen, so Altwicker in dem Radio-Interview.


Die Protagonistin Yvonne will oder muss die Routine, in der sie feststeckt, durchbrechen. Sie verlässt ihren Mann Jonas und die kleinen Kinder Mika und John. Jessen räumt in ihrem Werk mit einem wesentlichen Tabu auf: eine Frau verlässt ihre Kinder nicht. In unserem Leben habe alles eine Endlichkeit – nur die Liebe nicht, so Jessen. Was würde es verändern, die Liebe endlich zu denken? Das ist ein Aspekt des Romans und es geht um den Umgang mit Umbrüchen und Neuanfängen.

Yvonne spürt, dass Wandel und Veränderung wichtig sind. Sie wird sich selbst fremd, hat widersprüchliche Empfindungen, kann kaum Worte dafür finden und diese erst recht nicht mit ihrem Partner teilen. Eine Szene, in der dies deutlich wird, liest Jessen. Die beiden Jungs bauen im Kinderzimmer eine Stadt. Die Mutter beobachtet sie und ist erstaunt, wie ihre Zöglinge aus dem Sammelsurium ihrer Spielzeuge mit Lego-, Playmobilfiguren und Ninja Turtles sowie der Holz-Jesus-Figur eine idyllische Szenerie erstellen – um sie anschließend zu zerstören. Sie hat sich aus dem Kinderzimmer zurückgezogen und lässt dies zu. Ihr Mann Jonas möchte das Tun unterbrechen – und plötzlich stellt sie da diese Leere zwischen den Partnern fest.


[Im Anschluss an die Lesung stellten die Gäste der Autorin Fragen.]

Im Nachgespräch mit den Gästen kommt die Frage auf, warum Yvonne plötzlich alles infrage stelle. Das sei nicht plötzlich, so Jessen. Die Zeit, die Jahre verändern etwas, was sich einnistet – und dann ist plötzlich ein Auslöser da. Leben sei Veränderung. Man könne sich mit Umbrüchen beschäftigen oder sie einfach passieren lassen. Den Schluss des Romans verriet sie natürlich nicht. Es war ein brillantes Vorlesevergnügen mit Julia Jessen, die zwischendurch immer wieder Brücken zum weiteren Verlauf der Geschichte und zur Hauptfigur baute.

Diese Lesung war die vorletzte in den „Tante Polly“-Räumlichkeiten. Nach fast sieben Jahren schließt der Laden die Türen in der Hauptstraße, aber Mike Altwicker betonte, dass es sicher weitergehe mit Autorenlesungen. Im Juni wird er mit seiner Buchhandlung „Hansen & Kröger“ den Kölner Autor Leon Sachs und dessen Thriller „Eleven“ vorstellen.

  
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