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Gesundes Essen aus der Region als Therapie

fj; 9. Jan 2018, 13:59 Uhr
Bilder: Fenja Jansen --- Didier Bailly (6. v. li.), Leiter des Hofs Müllerheide, mit Bewohnern und Mitarbeitern.
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Gesundes Essen aus der Region als Therapie

fj; 9. Jan 2018, 13:59 Uhr
Reichshof – Auf dem Hof Müllerheide leben und arbeiten abstinente suchtkranke Menschen – Gleichzeitig ist der Hof ein Erlebnisbauernhof mit eigenem Verkauf, der die Menschen einlädt, Tiere und Landwirtschaft kennenzulernen.
Von Fenja Jansen

Kaum ist die Autotür ein Spalt weit offen, steckt der kleine Mischlingshund Paulchen seinen Kopf durch die Tür und wedelt freundlich mit dem Schwanz. „Willkommen auf Hof Müllerheide“, ruft eine blonde Frau mittleren Alters, bevor sie mit einem Eimer in der Hand im Kuhstall verschwindet. Direkt neben dem Stall steht das 150 Jahre alte Bauernhaus, das unter Denkmalschutz steht. Eingerahmt ist das Fachwerk-Ensemble von weitläufigen Wiesen und Ställen. Die Schweine quieken, Hühner schnattern, Pferde grasen und sogar ein Alpaka streckt seinen Kopf neugierig hinter einem Holzzaun hervor. Auf dem an einem Weiler, unweit von Eckenhagen im Reichshof gelegenen Hof scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Das einzig Moderne ist auf den ersten Blick ein Verkaufswagen. Hier werden Fleisch und Wurstwaren, Eier und Honig aus eigener Herstellung und Haltung verkauft.


[Die landwirtschaftlichen Produkte werden direkt am Hof verkauft.]

„Die Tiere haben so viel Auslauf, wie sie möchten. Hier steht nicht der Profit im Vordergrund, sondern das Wohl der Tiere. Wenn geschlachtet wird, kommt ein Metzger direkt zum Hof, um Stress für die Tiere zu vermeiden. Die zerlegten Stücke werden dann im Hofladen verkauft“, erklärt Didier Bailly. Der gebürtige Franzose ist jedoch kein Landwirt, wie man nun meinen könnte, sondern examinierter Altenpfleger. Und der Hof Müllerheide kein reiner landwirtschaftlicher Betrieb, sondern ein therapeutischer Hof für abstinente Suchtkranke und Erlebnisbauernhof für interessierte Besucher zugleich.

2001 richtete die Oberbergische Gesellschaft zur Hilfe für psychisch Behinderte (OGB) auf dem Hof ein Wohnheim für suchtkranke Menschen mit starken organischen Beeinträchtigungen und hirnorganischen Veränderungen ein. Hier erlernen insgesamt 18 Bewohner ein Leben ohne Alkohol und Drogen mit Hilfe landwirtschaftlicher Arbeitstherapie. Sie kümmern sich um die Tiere, pflegen den Hof, kochen mit Produkten vom Hof oder stehen im Verkaufswagen. „Süchtig zu sein bedeutet, dass sich das Leben nur noch um die Droge dreht. Soziale Kontakte gehen dabei genauso verloren wie eine geregelte Tagesstruktur oder die Wertschätzung gegenüber sich selbst“, erklärt Bailly, der auf einem Bauernhof in Frankreich aufgewachsen ist und ein landwirtschaftliches Gymnasium besuchte, bevor er sich für einen sozialen Beruf entschied.



Bailly und seinen Mitarbeitern geht es  vor allem um das Erlernen von Respekt: Gegenüber anderen Menschen, den Tieren und der Arbeit, aber besonders gegenüber sich selbst. „Die Bewohner spüren, dass sie hier eine sinnvolle Arbeit verrichten und dass die Tiere sie brauchen. Das gibt ihnen Selbstbewusstsein“, erklärt Bailly, den hier alle liebevoll „Chef“ nennen. Habe der Alkohol oder eine Droge erstmal Macht über einen Menschen gewonnen, werde alles andere nebensächlich: „Viele Suchtkranke waschen sich nicht mehr, geschweige denn, dass sie auf ihre Ernährung achten. Durch die Arbeit auf dem Hof zeigen wir ihnen, dass sie wertvolle Menschen sind, die gebraucht werden. So lernen sie, auch sich selbst wieder wertzuschätzen“, so Bailly weitern.


[Nicht alle Tiere werden geschlachtet, manche sind „ständige Hofbewohner“ – zum Umsorgen und Gernhaben.]

Den wertschätzenden Umgang mit Tieren und eine bewusste Ernährung wollen Bailly und sein Team aus Pflegern, Therapeuten und Pädagogen aber nicht nur ihren Bewohnern, sondern auch nach außen vermitteln. „Die meisten Menschen wissen doch gar nicht mehr, wo das Schnitzel auf ihrem Teller eigentlich her kommt“, kritisiert Bailly. Auf dem Hof wird Besuchern die Möglichkeit gegeben, wieder in Kontakt mit der Landwirtschaft und den Tieren zu kommen. „Jeder ist eingeladen, einfach mal vorbei zu schauen, besonders Kinder. Nach Anmeldung richten wir auch gerne Führungen für Gruppen oder Kindergeburtstage aus. Dann wird in der Scheune gefeiert und wir fahren mit der Kutsche“, lädt er ein. „Wir verstehen uns als Erlebnisbauernhof, der offen ist für alle.“ Davon profitieren auch die Bewohner: Sie können von ihrer Arbeit erzählen und sie demonstrieren, das gibt das nötige Selbstbewusstsein für den Start in ein suchtfreies Leben.


[In der gemütlichen Küche wird jeden Tag frisch gekocht – selbstverständlich mit Produkten aus eigener Herstellung.]
  
Die Bewohner leben freiwillig auf dem Hof. Bevor sie ihr Zimmer im Bauernhaus beziehen, haben sie eine Entgiftung in der Klinik Marienheide hinter sich gebracht. Nach einiger Zeit können sie in eine Außenwohngruppe unweit des Hofes ziehen, jedoch weiter hier arbeiten. Bleiben können sie, solange sie wollen. Manch einer lebt schon 16 Jahre auf Hof Müllerheide. Doch es gibt auch viele, die es bereits geschafft haben – aber immer noch Kontakt halten. Zur Mittagszeit versammeln sich alle Bewohner im gemütlichen Speiseraum neben der offenen Küche. Zum frischen Rotkohl gibt es Kartoffeln und Fleisch aus eigener Herstellung. Dabei ist auch ein Gummersbacher, der erst gestern eingezogen ist. Schon jetzt ist er von der familiären Atmosphäre, der Arbeit und der Nähe zu den Tieren begeistert. „Das ist viel besser als alles, was ich bisher erlebt habe. Und vor allem besser, als nur in der Gummersbacher City abzuhängen“, sagt er, bevor er lachend im denkmalgeschützten Bauernhaus verschwindet.


[Die Kühe Maria, Mama Muh und Miss Marple lassen es sich schmecken.]

Der Hofladen (Hof Müllerheide, In der Alten Wiese 4, Reichshof-Müllerheide) hat täglich geöffnet. Bestellungen werden unter Tel.:02265/98 98 12 entgegen genommen. Auch Besucher, gerne Gruppen, können sich unter dieser Nummer sowie unter E-Mail: hof-muellerheide@ogb-gummersbach.de anmelden. Weitere Informationen unter www.ogb-gummersbach.de.
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