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Jahrhundertsturm Kyrill: Krise und Chance

fj; 19. Jan 2017, 14:10 Uhr
Bilder: Fenja Jansen ---- Förster des Regionalforstamtes Bergisches Land und Waldbesitzer zeigten zehn Jahre nach Kyrill beim Spaziergang im Waldgebiet Reichshof-Blockhaus die noch immer sichtbaren Sturmschäden.
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Jahrhundertsturm Kyrill: Krise und Chance

fj; 19. Jan 2017, 14:10 Uhr
Oberberg – Zehn Jahre nach Kyrill sind die Schäden im Wald noch deutlich sichtbar - Regionalforstamt schätzt Schaden auf 26 Millionen Euro – Doch die Katastrophe, sind sich Waldbesitzer und Förster einig, bot auch eine Chance.
Von Fenja Jansen

„Dieses Heulen, wie der Wind um die Berge pfiff, das habe ich noch nie gehört. Und ich werde es nie vergessen“, erinnerte sich Manfred Schmalenbach aus Reichshof-Branscheid an eine Nacht vor zehn Jahren. Vom 18. auf den 19. Januar 2007 zog der Sturm Kyrill mit Windstärken von bis zu 180 km/h und Böen in Orkanstärke über Mitteleuropa hinweg. Als Schmalenbach gleich am nächsten Morgen aufs Blockhaus fuhr, wo er eine 5,6 Hektar große Fläche Wald besaß, konnte er seinen Augen nicht trauen: „Als wäre jemand mit einer Walze durch den Wald gefahren. Ich erkannte dieses Fleckchen Erde kaum wieder. Es war grausig.“ Nur ein halber Hektar seines Waldes stand noch. Insgesamt hat der Waldbesitzer in nur einer Nacht die Hälfte seines Waldbesitzes verloren.


[Der komplette Hügel war vor Kyrill mit Fichten bewachsen. Der Sturm schlug eine Schneise in den Wald.]

So wie ihm ging es vielen Waldbesitzern. Im Bereich des Regionalforstamtes Bergisches Land hat Kyrill etwa 1,5 Millionen Bäume mit einem Volumen von 550.000 Kubikmeter entwurzelt. Auf einer Fläche von circa 1.000 Hektar waren über Nacht Kahlflächen von bis zu zehn Hektar Größe entstanden. „Am nächsten Morgen waren die Wege durch umgestürzte Bäume versperrt und die Kommunikation schwierig, da auch Telefonleitungen in Mitleidenschaft gezogen worden waren“, erinnerte sich Kay Boenig vom Regionalforstamt Bergisches Land an den Sturm, den er nach eigenen Angaben nie vergessen wird. Insgesamt verursachte Kyrill Schäden bei rund 3.000 bergischen Waldbesitzern.


[Kay Boenig vom Regionalforstamt Bergisches Land zeigt anhand von Luftaufnahmen, wie viel Wald Kyrill vernichtet hat.]

Der großen Hilfsbereitschaft und Solidarität unter den Förstern, den Waldbesitzern, den Bürgern und ansässigen Firmen sei es zu verdanken gewesen, dass alle Wege im Bereich des Forstamtes nach zwei Tagen wieder passierbar waren. Größere Waldbereiche wurden aus Sicherheitsgründen für die Bevölkerung gesperrt. Mit viel Technik ging es dann an die Aufräumarbeiten, die trotz des Einsatzes von Forstfirmen aus ganz Europa knapp ein Jahr dauerten. Im Gegensatz zum Sauerland, wo auch Todesopfer zu beklagen waren, gab es dabei im Bergischen keine schwereren Unfälle. In ganz Nordrhein-Westfalen starben sechs Menschen bei der gefährlichen Holzaufarbeitung, 150 wurden verletzt.



Durch das plötzliche Überangebot auf dem Holzmarkt fiel der Holzpreis. Der Borkenkäfer nistete sich in die umgestürzten Bäume ein und trieb die Schäden für die Waldbesitzer weiter in die Höhe. Diese können auch heute nur geschätzt werden. Das Regionalforstamt Bergisches Land geht von einer Summe in Höhe von insgesamt 26 Millionen Euro aus. Hinzu kommt, dass auf den Schadenflächen erst in 20 bis 30 Jahren wieder Nutzholz geerntet werden kann. „Mit dem Wald, den ich von meinem Vater geerbt habe, werden wohl erst seine Enkel wieder Geld verdienen“, rechnete Waldbesitzer Christoph Brandt vor. Neben den Aufräumarbeiten, so Boenig, sei die schwerste Aufgabe gewesen, dafür zu sorgen, dass das Holz dem Markt nicht auf einmal zugeführt wurde, damit die Preise nicht ins Bodenlose fallen. Denn durch den Sturm sind in NRW insgesamt 15,7 Millionen Festmeter Holz angefallen – das entspricht etwa dem Dreifachen des durchschnittlichen Jahreseinschlags.


[Im Wald von Christoph Brandt: Junge Bäume, die viel Pflege brauchen, vor einem Restbestand an Fichten.]
  
Doch Kyrill, da sind sich die Förster und Waldbesitzer einig, bot auch eine Chance – die Chance auf eine dauerhafte Veränderung des Waldes im Bergischen Land. Denn zu 90 Prozent wurden durch den Orkan Fichten von über 20 Meter Höhe umgeworfen. Die schnellwachsenden Bäume galten zu Zeiten der Holzknappheit während der Nachkriegszeit als „Brotbaum“ der bergischen Waldbauern. Vor dem Sturmereignis betrug der Laubholzanteil auf den Kyrillflächen sieben Prozent, der des Nadelholzes 93 Prozent. Nach dem Sturm wurde die Aufforstung von Mischkulturen aus Laub- und Nadelholz vom Land gefördert. Buchen und Eichen, Douglasie und Lärche, Kirschen und Kastanien sind nun in den Flächen zu finden. 2015 betrug der Anteil des Laubholzes bereits 47 Prozent, der des Nadelholzes 53 Prozent.


[Nur einen Nadelbaum hat Kyrill auf diesem Hügel stehen lassen.]
  
Neben der Aufforstung sorgte auch die Natur dafür, dass in Waldflächen, die vor Kyrill nur aus Fichten bestanden, nun verschiedene Baumarten wachsen. „Wir gehen davon aus, dass naturnahe und artenreiche Wälder mit unterschiedlich alten und unterschiedlich großen Bäumen besser mit den Herausforderungen des Klimawandels zurechtkommen werden“, erklärte Sebastian Krohn, Leiter des Forstreviers Reichshof, dass der Jahrhundertsturm die Chance bot, sich für die Zukunft besser zu rüsten. Es würden aber noch 50 bis 100 Jahre vergehen, bis sich auf den Kyrillflächen wieder ein stattlicher Wald entwickele. So sind die Schäden zehn Jahre nach der Katastrophe auch auf dem Blockhaus in Reichshof weithin sichtbar – und werden es auch noch Jahrzehnte bleiben.

[Luftaufnahme des Regionalforstamtes vom Gebiet Reichshof-Blockhaus vor dem Sturm ... ]

  

[ ... und nach dem Sturm.]
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