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Grenzerfahrungen: Olympia und tiefe Traurigkeit

Red; 23. Aug 2016, 16:39 Uhr
Bild: privat --- Der Engelskirchener Rolf Faymonville und sein evangelischer Seelsorger-Kolege Thomas Weber weilten bis Sonntag bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro.
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Grenzerfahrungen: Olympia und tiefe Traurigkeit

Red; 23. Aug 2016, 16:39 Uhr
Engelskirchen - Diakon Rolf Faymonville aus Engelskirchen war als Olympia-Seelsorger mit den deutschen Athleten in Rio de Janeiro und berichtet auf Oberberg-Aktuell per Olympia-Tagebuch.
Neben den seelsorglichen Angeboten und Aufgaben haben Thomas Weber, mein evangelischer Kollege als Olympiaseelsorger, und ich insgesamt zehn Sportarten live erlebt. Ganz bewusst haben wir eher Randsportarten ausgesucht, um einmal bewusster zu erleben, was diese Sportarten ausmacht. Wir haben auch Sportveranstaltungen besucht, an denen Athleten teilnahmen, zu denen wir persönlichen Kontakt hatten oder deren Verbandsvertreter wir kennengelernt haben. Viele dieser Veranstaltungen und Begegnungen waren sehr interessant und anregend. So habe ich mir Olympia vorgestellt: Sportdisziplinen kennenzulernen, die man nicht immer im Fernsehen sieht.

Die Stimmung in den Stadien war gut, auch wenn zahlreiche Sitzplätze leer blieben, da Firmen und Sponsoren nicht alle Tickets, die sie erworben hatten, nutzten oder weitergegeben hatten. Die Brasilianer sind – das fiel auf – ein sehr parteiisches und bisweilen unfaires Publikum. Sportler aus anderen Ländern werden ausgebuht, wenn Brasilianer am Start sind. Schiedsrichterentscheidungen werden mit Pfiffen quittiert, sobald sie gegen brasilianische Athleten gingen – ganz gleich, ob die Entscheidung richtig war oder nicht. Viele haben keine Ahnung von den Regeln der Sportarten, die sie anschauen. Aber sie sind begeisterungsfähig – auch das ist Brasilien.


Überschattet werden die Spiele vom tragischen Unfalltod von Stefan Henze. Wir hatten am Abend des Unfalls noch mit dem Kanuteam zusammengesessen und über den weniger erfolgreichen Finaltag gesprochen. Und dann dieser schreckliche Unfall. Alle waren geschockt und tief berührt. Die DOSB-Verantwortlichen und die Mitarbeiter des Auswärtigen Amts leisteten bei der Betreuung der Angehörigen professionelle und persönlich engagierte Hilfe. Auch wir Seelsorger wurden eingebunden. Unsere Gottesdienstangebote am Wochenende im Deutschen Haus und im Athletendorf greifen die Gefühle und Sorgen der Mannschaft auf. Wir beteten für Stefan Henze, für seine Familie, für die Sportler, die sich Sorgen um ihn machen und die selbst noch im Wettkampf standen. Einige Athleten und Trainer suchten Gespräche mit uns. Die Sorge um die Unfallbeteiligten und die Frage nach dem Sinn des eigenen Lebens, nach dem, was in einer solchen Situation wirklich zählt – jenseits des Sports – wurden thematisiert. Es wirkte befreiend, darüber sprechen zu können. Auch im Deutschen Olympischen Jugendlager gestalteten wir eine „Spätschicht“ – eine Abendmeditation.

Dann kam die Nachricht vom Tod Stefan Henzes. Trauer und Entsetzen bei vielen. Wir gestalteten eine Gedenkfeier am Denkmal für die verstorbenen Olympioniken im Athletendorf in Abstimmung mit dem „Chef de mission“ und seinem Stab. Eine beeindruckend große Gruppe der Olympiamannschaft zog vom Mannschaftshaus zum Gedenkplatz. Die Sportler verweilten betroffen und bewegt im Halbkreis. Vor dem Denkmal für verstorbene Athleten im Olympischen Dorf stand ein Bild von Stefan Henze, dort lagen Blumen. Ich versuchte, zu Beginn der Feier mit einer Klarinettenimprovisation die Gefühle der Teilnehmer einzuholen. Die Musik tut gut, die Gedanken haben Raum und Zeit anzukommen. Dr. Michael Vesper hielt eine sehr persönliche Ansprache über Stefan Henze, seine Laufbahn, sein Lebenswerk, seinen Tod und die Betreuung der Angehörigen. Klarinettenmusik. Dann sagte Thomas Weber etwas über den Wert des Lebens, das mehr ist als nur Sport, über die Grenzen des Lebens und die Hoffnung auf ein gutes Ende. Es folgte eine Gedenkminute. Danach das Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse, der auch ein Suchender war: suchend nach Sinn, nach Erfüllung, nach Befreiung. Viele ließen ihre Gedanken mitziehen.

„… Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

… Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden ...
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“

Zum Abschluss erklang die olympische Hymne. Eine würdige Feier, in der sich alle mit ihren unterschiedlichen Fragen und Vorstellungen vom Leben, vom Tod und von Gott wiederfinden konnten. Ich war sehr bewegt, als ich erfuhr, dass Stefan Henzes Eltern einer Organspende zugestimmt haben. So konnte er noch vier Menschenleben in Brasilien retten. Ich weiß aus eigener Erfahrung, was das bedeutet. Großer Respekt vor der Großherzigkeit der Familie Henze.

Rolf Faymonville, Rio de Janeiro 
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