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Erdogan spaltet – auch in Oberberg

fj; 26. Jul 2016, 16:18 Uhr
Bild: privat --- Die Bosporus-Brücke in Istanbul wurde in der Nacht auf den 16. Juli von Putschisten besetzt. Ihnen stellten sich protestierende Zivilisten in den Weg.
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Erdogan spaltet – auch in Oberberg

fj; 26. Jul 2016, 16:18 Uhr
Oberberg – Auch von den in Oberberg lebenden Türken wird die Diskussion über Erdogans Vorgehen nach dem Putschversuch kontrovers geführt – Oberberg-Aktuell sprach mit Mitgliedern der UETD und des Alevitischen Kulturvereins.
Von Fenja Jansen

Als die Bilder des Militärputsches in der Türkei über den Bildschirm gingen, war Mehmet Pektas aus Bergneustadt schockiert. Und genauso, da ist er sich sicher, ging es allen in Oberberg lebenden Türken. „Die Türkei hat bereits mehrere Militärputsche erlebt und es gibt kaum eine Familie, die die Gewalt der Putschisten nicht aus ihrer eigenen Vergangenheit kennt“, so das Mitglied der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) Gummersbach und Umgebung. Voller Sorge habe man sich nach dem Verbleib von Freunden und Familienangehörigen in der Heimat erkundigt. „Nach den Erfahrungen von 1960, 1971 und 1980 war man glücklich darüber, dass der Staat die Kontrolle zurückerobern konnte“, so Pektas.

Als Folge des Putschversuchs kündigte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine gründliche „Säuberung“ an, verhaftete oder suspendierte Militärangehörige, Lehrer, Professoren, Journalisten und Staatsanwälte und rief den Ausnahmezustand aus. Begleitet wurden diese Nachrichten aus der Türkei von Bildern eines jubelnden Volkes, das jede Entscheidung seines Präsidenten mit Hurra-Rufen quittierte. „Ja, das muss für Deutsche befremdlich sein. Denn die deutschen Medien erklären nicht, worauf sich Erdoğans ‚Säuberung‘ bezieht“, meint Pektas.

Im Gegensatz zu Deutschland sei es in der Türkei ein „offenes Geheimnis“, dass die Gülen-Bewegung, die er als Sekte bezeichnet, mit dem Putsch eine Machtübernahme anstrebte. „Schon seit Jahren schleust die Sekte ihre Mitglieder in hohe Positionen ein. Ihr Ziel ist es, den Prediger Fethullah Gülen, der im Exil lebt, zurück in die Türkei zu holen. Sie verehren ihn wie einen Propheten. Dabei sagt der Islam, dass Mohammed der letzte Prophet war“, so Pektas.

Statt dass die deutschen Medien über diese geplante Machtübernahme berichteten, würden sie regelrecht Propaganda gegen Erdoğan betreiben und das Wort „Säuberung“ aus dem von ihm gemeinten Kontext lösen, um ihm so diktatorische Züge zu verleihen. „Das treibt eine Kluft zwischen Deutsche und Türken“, warnt Pektas. Diese Kritik an den deutschen Medien kann Aziz Kocyigit, Mitglied im Vorstand des Alevitischen Kultur- und Solidaritätsvereins Oberberg, nicht verstehen. Der Gummersbacher arbeitet im Kölner Studio des türkischen Senders Hayat-TV. Zu seinem Job gehört es, die Medien aus aller Welt zu verfolgen. „Ich halte die deutsche Berichterstattung für gut. Für mich könnte sie sogar noch kritischer sein“, urteilt der Journalist, dessen Sender bereits mehrfach für Kritik am türkischen Staatspräsidenten abgestraft wurde.



Auch in seinem Verein sei man froh, dass der Putschversuch gescheitert ist. „Wir sind für Demokratie und gegen jede Form der Gewalt“, macht er klar. Genau deshalb lehne man im Verein aber auch das Vorgehen, dass Erdoğan und seine Partei AKP nun an den Tag legten, ab. „Er nutzt den Putschversuch, um Anhänger der Gülen-Bewegung aus dem Weg zu schaffen. Aber Anhänger einer Bewegung zu sein, ist eine persönliche Entscheidung und nichts, für das man in einem Rechtssaat bestraft werden sollte“, macht er seinen Standpunkt klar und erinnert an Menschen aus dem Bildungs- oder auch Gesundheitswesen, die in der Türkei nach dem Putsch zu Hunderten verhaftet wurden.

„Was hat ein Lehrer mit einem Militärputsch zu tun? Die Namenslisten, die kurz nach dem Putsch auftauchten und nach denen nun verhaftet wird, müssen doch schon längst in einer Schublade gelegen haben“, mutmaßt er, dass Erdoğan den Putschversuch nutzt, um seine eigene Macht auszubauen und die parlamentarische Regierung letztlich abzuschaffen.

Die UETD steht traditionell hinter Erdoğan und der AKP. So hat sie beispielsweise 2008 Erdogans Auftritt in Köln organisiert. Die islamische Glaubensgemeinschaft der Aleviten steht Erdoğan und seiner Partei laut Kocyigit kritisch gegenüber. Erdoğan -Gegner und Erdoğan -Anhänger treffen also auch im Oberbergischen aufeinander. Sie eint die Ablehnung des Putschversuchs, sie entzweit das Vorgehen Erdoğans nach dem Umsturzversuch. Worin die einen die Wiederherstellung der Demokratie sehen, sehen die anderen den Schritt in die Diktatur.

„Für meine Heimatstadt Gummersbach kann ich sagen, dass die Diskussionen zwischen den verschiedenen Lagern friedlich geführt werden“; so der Journalist Kocyigit. Auch Pektas ist davon überzeugt, dass die in Oberberg lebenden Türken zu besonnen sind, um über dieses Thema in handfeste Auseinandersetzungen zu geraten. Diese Erfahrung machte man auch bei der Polizei. Laut eines Sprechers zeigten Beamte vorsorglich beim ersten Freitagsgebet nach dem Putschversuch Präsenz an der Moschee in Bergneustadt, um bei Auseinandersetzungen schnell eingreifen zu können. Alles blieb friedlich. „Die Moschee ist auch kein Ort für politische Gespräche, sondern ein Ort des Glaubens“, erklärt Pektas, dass solche Diskussionen wenn, dann nicht an diesem Ort ausgetragen werden.
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