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Inklusion erwünscht? Wenn der Amtsschimmel wiehert

bv; 28. Jun 2016, 12:29 Uhr
Bilder: privat --- Lina ist ein aufgewecktes Kind. Weil sie krank ist, benötigt sie Unterstützung und Betreuung, doch daran hapert es, weil Behörden sich merkwürdig verhalten.
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Inklusion erwünscht? Wenn der Amtsschimmel wiehert

bv; 28. Jun 2016, 12:29 Uhr
Oberberg – Eine Lindlarer Familie mit einem behinderten Kind versucht seit Monaten, Hilfe bei der schulischen Eingliederung zu erhalten und fühlt sich vom Kreissozialamt im Stich gelassen.
Von Bernd Vorländer

Lina Zimmermann ist eigentlich ein lustiges und keckes Mädchen – zum Glück versteht sie noch nicht, dass sie Mittelpunkt von Behördenentscheidungen ist, die mancher als mindestens schwer verständlich bezeichnen würde. Und darum geht es: Die heute Siebenjährige war von Geburt an „besonders und anders“, wie das ihre Eltern Sandra und Markus beschreiben. Das Mädchen besuchte einen Integrativkindergarten, ehe ärztlicherseits eine motorische, emotionale und soziale Entwicklungsverzögerung diagnostiziert wurde. Anfang 2016, nach Problemen in der Schule, die nächste Hiobsbotschaft für die Eltern: Bei Lina wurde eine Epilepsie mit vegetativen und komplexen Anfällen sowie weitere psychogene Anfälle festgestellt.

Doch die Kleine sollte nicht aus ihrem gewohnten Umfeld herausgerissen werden, weshalb Familie Zimmermann die Chancen der Inklusion nutzte, eine umfängliche Betreuung für den Schulweg und die Offene Ganztagsschule zu beantragen. Damit begann mit dem hartleibigen Sozialamt des Oberbergischen Kreises ein Hindernislauf  , der wohl in den kommenden Wochen und Monaten vor Gericht seine Fortsetzung findet.


Dass es soweit kam und das Behörden-Schicksal von Lina kein Einzelfall ist, hat auch mit Versäumnissen der nordrhein-westfälischen Landesregierung zu tun. Die lässt in der Regel keine Gelegenheit verstreichen, um auf die eigenen Bemühungen für ein inklusives Schulsystem hinzuweisen. „Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung oder sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf haben das Recht auf volle Teilhabe am allgemeinen Bildungssystem. Damit verbunden bleibt der Anspruch auf bestmögliche sonderpädagogische, therapeutische oder pflegerische Unterstützung oder Nachteilsausgleiche“, heißt es vollmundig in einer Inklusions-Broschüre. Die Realität sieht leider anders aus. Zwar ist der Rechtsanspruch für Kinder mit Behinderung auf einen Platz an einer Regelschule umgesetzt, doch weisen Wohlfahrtsverbände auf diverse Praxismängel hin.


[Wie jedes Kind war auch Lina an ihrem ersten Schultag mächtig stolz.]

Bei der Einführung der schulischen Inklusion hat der Gesetzgeber nämlich den Offenen Ganztag wie auch eine Ferienbetreuung nicht ausreichend bedacht. Es fehlen verlässliche Regelungen zum offenen Ganztag als schulischem Bildungsangebot, weshalb betroffene Familien vom Gutdünken der kommunalen Ämter abhängig sind. Und die reagieren zunehmend rigide, schöpfen Spielräume nicht aus. Vor Gerichten gab es unterschiedliche Urteile. Jedenfalls verzweifelt Familie Zimmermann inzwischen am Sozialamt des Kreises. Das bewilligte zwar für Lina zunächst für den Hin- später auch für den Rückweg eine Begleitung, die dann auch noch auf eine minimale 45-minütige Hausaufgabenbetreuung ausgebaut wurde.

Im Anschluss ließ man sich bei weiteren Bitten der Familie auf Unterstützung enorm viel Zeit, forderte immer wieder neue Unterlagen, Formblätter, Beweise und Zahlen an. „Das war alles schon sehr verwunderlich und ist für die Familie sehr belastend“, weiß deren Rechtsanwalt Dietmar Klein. Bereits Anfang März hatte die Familie Anträge auf eine Begleitung beim Offenen Ganztag und eine Ferienbetreuung gestellt. Erst dreieinhalb Monate später kam der Amtsschimmel zu einem Ergebnis – und das ernüchterte dann Sandra und Markus Zimmermann noch mehr.


[Familie Zimmermann fühlt sich vom Sozialamt des Kreises im Stich gelassen.]

Es wurden erneut konkrete Angaben zu jeder einzelnen Ferienbetreuung, sogar an einzelnen Tagen angefragt: Etwa, wie groß die Kindergruppe sei, wie das Programm der Maßnahme aussehe und vieles mehr. Der Bescheid zum offenen Ganztag enthielt weitere Merkwürdigkeiten. Großzügig bewilligte man am 20. Juni eine Eingliederungshilfe, die jedoch nur bis zum 8. Juli befristet ist. Man benötigte also amtlicherseits in Gummersbach eine Vorlaufzeit von 15 Wochen, um eine Entscheidung zu fällen, die ganze drei Wochen gilt. Zudem will das Kreis-Sozialamt die Familie mit fast 750 € monatlich an dieser Maßnahme beteiligen. „Wie sollen wir das aufbringen?“, fragt Markus Zimmermann, der als Haustechniker arbeitet. Seine Frau ist bis 2018 verrentet. Das Familien-Einkommen nach dem vergangenen Steuerbescheid unterscheidet sich zudem deutlich von den Berechnungen des Amtes.  

Die Lindlarer Familie ist inzwischen mit den Nerven völlig fertig und kann nicht nachvollziehen, warum das Kreissozialamt nicht an ihrer Seite steht, sondern eher im Bremserhäuschen sitzt. Beim Kreis schweigt man mit dem Verweis auf das laufende Verfahren. „Wir haben nichts zu sagen und sind überzeugt, dass alles richtig gelaufen ist“, sagt Sprecherin Iris Trespe kühl. So blickt die schwer geprüfte Familie mit Sorge auf den Spätsommer, denn dann müssen wieder neue Anträge gestellt werden – bei demselben Sozialamt.
  
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