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Prominenz beim etwas anderen Politikunterricht

bv; 13. Jun 2016, 14:07 Uhr
Bilder: Bernd Vorländer --- (v. li.) Volker Beck (Grüne), Wolfgang Bosbach (CDU), Rebecca Hausner, Diyar Agu (beide Lindengymnasium), Petra Pau (Linkspartei), Michaela Engelmeier (SPD) und der Europa-Abgeordnete Herbert Reul (CDU) diskutierten im Bühnenhaus über die Flüchtlingspolitik.
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Prominenz beim etwas anderen Politikunterricht

bv; 13. Jun 2016, 14:07 Uhr
Gummersbach – Das Gummersbacher Lindengymnasium hatte Bundestags- und Europaabgeordnete zu einer Diskussion über deutsche und europäische Flüchtlingspolitik eingeladen.
Von Bernd Vorländer

Diese Schulstunde hatte Überlänge. Mittel- und Oberstufe des Gummersbacher Lindengymnasiums tauschten heute die harten Schulbänke und die Theorie des Politikunterrichts mit der Wirklichkeit. Die Schule hatte es tatsächlich geschafft, eine illustre politische Runde zu einer Podiumsdiskussion einzuladen. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linkspartei) war ebenso gekommen wie der streitbare CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach, Volker Beck von den Grünen und die oberbergische SPD-Bundestagsabgeordnete Michaela Engelmeier. Die Runde komplettierte der Europaabgeordnete Herbert Reul (CDU). Unter Leitung der beiden Oberstufenschüler Rebecca Hausner und Diyar Agu debattierten die Politiker vor über 400 Schülern zweieinhalb Stunden lang über die Realität wie Zukunft deutscher und europäischer Flüchtlingspolitik. Indes – es gab viel Altbekanntes, jedoch wenig Bereitschaft quer zu denken und eingeübte Verhaltensmuster zu verändern.


[CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach plädierte dafür, die Voraussetzungen in den herkunftsländern zu schaffen, damit Menschen nicht mehr flüchten müssen.]

Dass sich die Politik nach wie vor auf glattem Parkett bewegt, weil die Dimension weltweiter Wanderungsbewegungen   bislang - angesichts von 60 Millionen flüchtenden Menschen - offenbar völlig unterschätzt wurde, machte Reul deutlich. Den nachlassenden Flüchtlingszuzug müsse man dem Abkommen mit der Türkei zuschreiben, doch ob und wie es mit diesem von einem autokratischen Präsidenten regierten Land weitergehe, stehe in den Sternen. „Es kann auch sein, dass alles daneben geht“, war Reul unsicher über künftige Entwicklungen.

In der Schelte am türkischen Präsidenten Erdogan waren sich im Übrigen alle Politiker einig. Michaela Engelmeier bezeichnete dessen Kritik und die Bedrohung deutscher  Abgeordneter im Zusammenhang mit der Armenien-Resolution des Bundestages als „ungeheuerlich“. Inzwischen sei eine rote Linie überschritten, wenn türkischstämmige Parlamentarier Polizeischutz benötigten. Die Sozialdemokratin warb für Verständnis für die Flüchtlinge, denn niemand verlasse freiwillig seine Heimat. Dabei sei es unerheblich, aus welchen Gründen sich jemand auf den Weg mache. Engelmeier verteidigte die Wohnsitzauflage des Integrationsgesetzes, da ansonsten die Integration kaum machbar sei. Die Gewalt gegen Flüchtlinge bereite ihr große Sorgen, so die SPD-Abgeordnete, die einen gewagten weiten Bogen von der AfD bis zu krawallbereiten deutschen Hooligans spannte.


Für Wolfgang Bosbach ist Integration dann gelungen, wenn Flüchtlinge Deutschland als neues Zuhause bezeichneten. Mit der Wohnsitzauflage werde im Übrigen einer Ghettoisierung vorgebeugt. Aus humanitären Gründen ist es auch für den CDU-Parlamentarier geboten, denjenigen, die vor Krieg und Verfolgung flüchteten, Hilfe zu gewähren, „aber wir müssen alles daran setzen, dass diese Menschen in ihren Heimatländern bleiben können“.


[Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau und die SPD-Abgeordnete Michaela Engelmeier plädierten für eine schärfere Bestrafung fremdenfeindlicher Straftaten.]

Deshalb sei die Schaffung politischer und wirtschaftlicher Stabilität so enorm wichtig. Beck und Pau dagegen kritisierten ihrer Meinung nach bestehende Ungereimtheiten in der deutschen Flüchtlingspolitik. Einerseits Deutsch als Integrationsvoraussetzung zu benennen, dann aber viel zu wenig Sprachkurse zur Verfügung zu stellen, sei inkonsequent, so Beck. Dass Flüchtlinge zudem Jahre warten müssten, ehe sie ihre Familien nachholen könnten, „ist eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Schlepper“. Pau wies darauf hin, dass das Grundgesetz oberste deutsche Rechtsnorm sei: „Und da wird nun mal nicht zwischen guten Bürgerkriegsflüchtlingen und bösen Wirtschaftsflüchtlingen unterschieden.“       
Die kritischste Nachfrage kam im Übrigen aus dem Auditorium. Warum, so eine Schülerin, gebe das mächtige Europa eigentlich seine Verantwortung an die Türkei ab. Hier wurden die Politiker ziemlich kleinlaut und einzig Herbert Reul meinte, dass die Macht des Kontinents vielfach überschätzt werde. „Der Egoismus in Europa ist ein Riesenproblem, die EU ist in der Krise.“


  
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