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Ein Konditor ist kein Bäcker

Red; 16. Jan 2016, 10:00 Uhr
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Ein Konditor ist kein Bäcker

Red; 16. Jan 2016, 10:00 Uhr
Oberberg - Oberberg-Aktuell informiert in dieser Rubrik über Rechtsfragen - Der Service wird präsentiert von Fincke Rechtsanwälte Bergneustadt - Diesmal geht es um das Thema Tarifvertragsrecht.
In der Bundesrepublik Deutschland gibt es über 70.000 Tarifverträge. Arbeitnehmer, die tarifvertragliche Ansprüche durchsetzen wollen, müssen zunächst einmal den richtigen Tarifvertrag finden. Das ist manchmal gar nicht so einfach. Aber lesen Sie doch selbst:

Giulio Donati ist weit und breit der Beste seines Faches - seine Torten sind über die Stadtgrenzen hinaus berühmt. Giulios Konditorei boomt; möchte man zu einem duftenden Cappuccino ein köstliches Tortenstück genießen, ist ohne Vorbestellung meist nichts zu machen. Mit der barbarischen Herstellung von Brot und Brötchen würde sich der backende Künstler niemals befassen. Giulio ist kein Bäcker, Giulio ist Konditor, und das von ganzem Herzen.

Bis zum 31. Dezember vergangenen Jahres arbeitete Maria Balotelli in der Backstube der Konditorei. Maria hatte viel Spaß an der Arbeit, fand am Ende aber, ihr Verdienst sei wenig auskömmlich. Im Oktober kam es deshalb in der Backstube zum Personalgespräch. Maria rechnete ihrem Chef vor, sie bekomme 14.70 € in der Stunde, damit sei sie an sich auch zufrieden. Sie habe aber in Summe in den letzten zwei Jahren sauber aufgelistete 900 Überstunden gemacht, für die sie auch nur den Stundenlohn, keinen Cent mehr bekommen habe. Das fand Frau Balotelli ungerecht. Wenn sie schon Freizeit für die Konditorei opfere, sei es nur fair, die Überstunden irgendwie über den Stundenlohn hinaus zu belohnen.

Donati sah das irgendwie anders, das Zerwürfnis war perfekt. Was folgte waren die Kündigung zum Jahresultimo und Balotellis Besuch beim auf Forstrecht spezialisierten Advokaten Claudio Pirlo, einem guten Freund der Familie Balotelli. Von Maria auf die Finanzmisere angesetzt, tat der Anwalt das, was jeder gute Anwalt heute tun muss, er googelte und fand prompt den Manteltarifvertrag für das Bäckereihandwerk. Der war schnell ausgedruckt und in dem stand zur allgemeinen Freude tatsächlich, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für jede Überstunde gefälligst einen Zuschlag von 25 Prozent zum Stundenlohn zu zahlen habe. Forstrechtler können rechnen. Da liegt es auf der Hand, dass Pirlo umgehenst für Ballotelli eine Klage gegen Donati auf Zahlung von 3.307,50 € (900 Stunden x 14,70 € x 25 Prozent) beim Arbeitsgericht einreichte. Drei Wochen später fand die Güteverhandlung statt. Die Streithähne und ihre Anwälte - Donati ließ sich vom erfahrenen Arbeitsrechtler Daniele De Rossi vertreten - waren persönlich anwesend.

Wie die Arbeitsrichterin Balotellis Chancen für die auf Tarifvertrag gestützte Klage sah? Vor der spannenden Antwort auf diese Frage wollen wir ganz allgemein einen Blick auf das Recht der Tarifverträge werfen. Der Tarifvertrag ist ein Vertrag zwischen den Tarifvertragsparteien. Tarifvertragsparteien sind auf Seiten der Arbeitnehmer die Gewerkschaften, auf Seiten der Arbeitgeber Arbeitgebervereinigungen oder auch ein einzelner Arbeitgeber (Haus- oder Firmentarifvertrag). Eine Tarifbindung besteht, wenn der Arbeitnehmer Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft und der Arbeitgeber Partner des Tarifvertrages oder Mitglied der tarifschließenden Arbeitgebervereinigung ist.

500 Tarifverträge sind in Deutschland für allgemeinverbindlich erklärt. Allgemeinverbindliche Tarifverträge gelten immer, egal ob der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber nun Mitglied einer Tarifvertragspartei ist oder nicht. Der Manteltarifvertrag für das Bäckereihandwerk ist übrigens ein Beispiel für einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag. Natürlich kann ein Arbeitgeber auch im Arbeitsvertrag mit seinem Arbeitnehmer vereinbaren, dass ein bestimmter Tarifvertrag gelten soll.

Exkurs beendet - zurück zum Fall: Sofort zu Beginn der Verhandlung fragte die Richterin die klagende Fraktion Bolatelli/ Pirlo, warum der Bäckertarifvertrag mit seiner Überstundenzuschlagsregelung überhaupt anzuwenden sei. Da schien es für einen Moment tatsächlich so, als sei im Arbeitsgerichtssaal die große Stunde vom Experten Pirlo gekommen. Der Schwarzkittel räumte zwar ein, dass Bolatelli keinen schriftlichen Arbeitsvertrag habe und auch kein Gewerkschaftsmitglied sei, verwies dann aber nicht unsouverän auf die nicht zu bestreitende Allgemeinverbindlichkeit des Tarifwerks. Die Richterin - von Pirlos Ausführungen sichtlich schwer beeindruckt - gab De Rossi das Wort. Donatis Anwalt widersprach dem Kollegen Pirlo mit keinem Wort, schlug allerdings - gar nicht dumm -den Tarifvertrag auf und begann dann auch noch, laut daraus vorzulesen:

"Fachlicher Geltungsbereich: Der Tarifvertrag gilt für Bäckerhandwerksbetriebe. Dabei handelt es sich um solche Betriebe, die überwiegend Brot, Brötchen, sonstiges Kleingebäck und Feinbackwaren aus Blätter-, Mürbe- und Hefeteig herstellen und / oder verbreiten.“

Das saß. Balotelli staunte, Pirlo wurde leichenblass. Das Ende der Güterverhandlung ist schnell erzählt. Donati Inhaber einer Bäckerei? Nein, Donati ist Konditor, der nicht zuletzt den Mürbeteig in all seinen Spielarten abgrundtief verachtet. Das sah auf Nachfrage der Richterin Frau Balotelli nicht anders. Der Grund für die Klage war damit weggebrochen. Die Arbeitsrichterin schlug trotzdem eine kleine Ausgleichszahlung von Giulio an Maria vor - die habe schließlich unbestritten lange Jahre fleißig in der Konditorei gearbeitet. Donati murrte zwar, war nach De Rossis gutem Zureden dann aber doch einverstanden. Der Rechtsfrieden, der war wieder hergestellt, auch im Tarifvertragsrecht.
  


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