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Reden ist Silber, Schweigen ist Gold

Red; 27. Dec 2015, 18:28 Uhr
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Reden ist Silber, Schweigen ist Gold

Red; 27. Dec 2015, 18:28 Uhr
Oberberg - Oberberg-Aktuell informiert in dieser Rubrik über Rechtsfragen - Der Service wird präsentiert von Fincke Rechtsanwälte Bergneustadt - Diesmal geht es um das Thema Arbeitsrecht.
Wer nicht mehr als zehn Mitarbeiter beschäftigt, hat einen Kleinbetrieb. Und im Kleinbetrieb besteht kein Kündigungsschutz. Kündigt der Arbeitgeber im Kleinbetrieb, stellt ihm das Arbeitsgericht im folgenden Kündigungsschutzprozess keine lästigen Fragen zum Grund für die Kündigung. Der Richter prüft nur die Formalien und stellt dann regelmäßig fest, dass das Arbeitsverhältnis beendet ist. Eine Abfindung muss der Arbeitgeber nicht fürchten. Oft kommt es im Kleinbetrieb deshalb erst gar nicht zum Prozess. Wie immer gilt aber auch hier: Ausnahmen bestätigen die Regel. Das gilt insbesondere für die Arbeitgeber, die - bei rechtlicher Betrachtungsweise - sinnfrei ganze Erlebnisaufsätze beim Arbeitnehmer abgeben, wenn sie eigentlich doch nur die Kündigung aussprechen wollen. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 23.07.2015 (Az. 6 AZR 457/14) ist dafür ein schönes Beispiel.



Das Gericht hatte sich  mit der Kündigung einer Arzthelferin in einem Kleinbetrieb, nämlich einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis, zu beschäftigen. Der Fall spielt im Jahr 2013. Da befand sich unsere im Januar 1950 geborene Arzthelferin vielleicht sogar schon im Schlussspurt auf der Zielgeraden ihrer beruflichen Karriere.  Die redseligen arbeitgebenden Ärzte unserer Gemeinschaftspraxis  meinten sogar, der Schlussspurt müsse beendet werden, die treue Seele habe auf der beruflichen Laufbahn das Ziel erreicht. Deshalb verfassten sie beim Versuch, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, einen Besinnnungsaufsatz und schrieben:
„Liebe Charlotte,

seit über 20 Jahren gehen wir nun beruflich gemeinsame Wege. Wir haben in dieser Zeit viel erlebt, auch manche Veränderung. Inzwischen bist Du pensionsberechtigt und auch für uns beginnt ein neuer Lebensabschnitt in der Praxis. Im kommenden Jahr kommen große Veränderungen im Laborbereich auf uns zu. Dies erfordert eine Umstrukturierung unserer Praxis. Wir kündigen deshalb das zwischen uns bestehende Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der vertraglichen Frist zum 31.12.2013.“

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht hatten im Kleinbetrieb mit dieser Kündigung keine Probleme. Die Gerichte waren übereinstimmend der Meinung, Charlotte solle sich den Tag nicht länger von miesepetrig gelaunten Patienten in der Arztpraxis verderben lassen, das Arbeitsverhältnis müsse beendet werden.

Anders das Bundesarbeitsgericht: Das ließ sich den in epischer Breite abgefassten Kündigungstext auf der Zunge zergehen und stolperten dabei über das Wörtchen "pensionsberechtigt".

Wer pensionsberechtigt ist - so die Richter -, der habe einen Rentenanspruch wegen seines Alters. Der Wortlaut des Kündigungsschreibens lasse deshalb vermuten, dass in der angestrebten Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Benachteiligung der klagenden Arzthelferin wegen ihres Alters liege. Unmittelbare Benachteiligungen eines Arbeitnehmers wegen seines Alters sind aber nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verboten. Der Arbeitgeber habe im Prozess auch nicht bewiesen, dass es entgegen dem Wortlaut des Kündigungsschreibens zwischen dem Alter der Arbeitnehmerin und dem Kündigungsentschluss keinen Zusammenhang gebe. Die Folge: Die Kündigung sei als Altersdiskriminierung wegen Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot aus Paragraf 7 Abs.1 AGG unwirksam, das Arbeitsverhältnis bestehe unverändert fort. 

Das sitzt und wird für die Gemeinschaftspraxis bestimmt teuer - müssen die Ärzte ihre Arzthelferin doch auf unabsehbare Zeit weiter bezahlen. Dazu wäre es sicher nicht gekommen, hätten die Mediziner ihr Kündigungsschreiben nicht zum Erlebnisaufsatz gemacht. Deshalb spricht ja schon der Volksmund: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.


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