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„Ihr müsst leben ohne Hass!“

nh; 10. Nov 2015, 16:20 Uhr
Bilder: Nils Hühn --- Sehr bewegend und in sehr gutem Deutsch waren die Vorträge von den beiden polnischen Holocaust-Überlebenden Dr. Ignacy Krasnokucki und Jacek Zieliniewicz, sodass die Dolmetscherin Roswitha Köhlert nur einmal übersetzen musste.
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„Ihr müsst leben ohne Hass!“

nh; 10. Nov 2015, 16:20 Uhr
Wiehl - Zwei polnische Holocaust-Überlebende berichteten in der Realschule Bielstein von ihren Erlebnissen und rührten die Zuhörer zu Tränen, als sie von den Grausamkeiten berichteten, die sie im Alter der Schüler erlebt hatten.
Von Nils Hühn

Dr. Ignacy Krasnokucki und Jacek Zieliniewicz gehören zu den letzten noch lebenden Zeitzeugen des Holocausts. Rund 90 Realschüler durften heute zwei Stunden den Berichten der Männer folgen, die zwischen 1939 und 1945 unerträgliches Leid erlebten. In Zusammenarbeit mit dem Maximilian-Kolbe-Werk und dem Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Köln fand die Veranstaltung im Rahmen des Geschichtsunterrichts der zehnten Klassen statt und wird für bleibende Erinnerungen bei den Zuhörern geführt haben.

Dr. Ignacy Krasnokucki (Bild) wurde 1925 als jüngster von drei Brüdern im polnischen Lodz geboren. Wenige Tage nach der Eroberung Polens wurde die Familie ins Ghetto Lodz umgesiedelt. Anhand von Zeichnungen und Bildern versuchte Krasnokucki die Enge zu beschreiben, aber seine lebhaften Schilderungen waren anschaulicher. Seine beiden Brüder flohen nach Russland, der Vater wurde verhaftet und kehrte nie wieder zurück. Im Ghetto kümmerte er sich um seine kranke Mutter, die jedoch aufgrund der fürchterlichen Lebensbedingungen starb.

Auf engstem Raum hatten Hunderttausende Juden gelebt. Neben Hunger und Schmutz hätte man sich auch noch fürchten müssen, da immer wieder Menschen umgebracht wurden. Noch heute habe er Albträume, da die SS-Leute innerhalb weniger Tage alle Kinder aus dem Ghetto entfernten. Eine Mutter, die ihr Kind nicht hergeben wollte, hätte ihr Kind so fest gehalten und der SS-Mann so stark an ihm gezogen, dass es „in zwei Teile gerissen wurde.“ Bei diesen Schilderungen hatten einige Zuhörer Tränen in den Augen.


[Die "Allgemeine Gehsperre" innerhalb des Ghettos sei für viele ein "Todesurteil" gewesen, berichtete Krasnokucki.]

Seit seinem 15. Lebensjahr musste er arbeiten. Da er was lernen wollte, tauschte er seinen Job innerhalb des Ghettos und wurde innerhalb eines Jahres Elektriker. „Das war einer der Gründe, warum ich überlebte“, so Krasnokucki. Ein anderer wäre einfach nur Glück gewesen. Oft werde er gefragt, was ihn am Leben gehalten hätte. „Die Hoffnung, meine Brüder wiederzusehen.“ Nach einer Razzia im März 1944 wurde er in ein Arbeitslager nach Czestochowa gebracht. Er überlebte dort und in Buchenwald, weil er als Hilfselektriker „von Wert" für die Nazis war. Nach der Auflösung des Lagers 1945 gelang ihm auf einem Todesmarsch die Flucht.

Während Krasnokucki das Leben im Ghetto beschrieb, schilderte Jacek Zieliniewicz (Bild) die Zustände im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Zieliniewicz wurde am 10. Mai 1926 in Janowiec geboren. Zieliniewicz, der vor dem Krieg ein Gymnasium in Poznan besuchte, wurde Anfang Dezember 1939 zusammen mit seinen Eltern von den deutschen Besatzern nach Konskie in das Generalgouvernement umgesiedelt. Am 20. August 1943 wurde der 17-jährige Jacek Zieliniewicz verhaftet. Drei Tage später befand er sich als politischer Häftling mit der Nummer 138142 in Auschwitz-Birkenau.  Zu Beginn des Krieges war er 13 Jahre, am Ende 19 Jahre, also in dem Alter, wie die heutigen Zuhörer. „Ihr seid nicht für die Vergangenheit verantwortlich, aber für die Zukunft“, hatte er eine Botschaft an den Anfang seines Vortrags gestellt. In seiner Zeit im KZ habe er gelernt, dass es keine schlechten Nationen geben würde, sondern nur schlechte Menschen. So gab es im KZ auch einen deutschen Wärter, der den Juden geholfen habe.

Dennoch sei das Leben im KZ schrecklich gewesen. Mit 500 Mann hätte man in Baracken ohne Wasser gelebt. „Die Suppe, die wir mittags bekamen, war eine stinkende Flüssigkeit, die aber nach mehreren Tagen schmeckte“, war der Hunger von Zieliniewicz und den anderen Häftlingen größer als der Ekel. Schlimmer als der Hunger sei aber die Kälte gewesen. Ohne Schuhe hätten sie stundenlang im frostigen Schlamm stehen müssen. „Es war Vernichtung durch Arbeit.“ Nur wer überleben wollte und Hoffnung hatte, der hatte eine Chance. Auch er meinte, dass man „viel, viel Glück“ brauchte und Freunde.

Am Ende seines Berichts wurden die Schüler etwas unruhig, da die Schulbusse bereits gefahren waren. Doch keiner der Zuhörer ging, bevor Zieliniewicz seinen Vortrag beendet hatte. Allerdings fiel die eigentlich geplante Fragestunde aufgrund des Zeitmangels aus. „Ihr müsst leben ohne Hass“, gab er den Schülern mit auf den Weg. „Ihr müsst alles machen, dass es keinen Krieg mehr gibt“, wünschte er sich Frieden und Freundschaft.
  
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