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Drama in Athen - auch Oberberger bangen

fj, bv; 29. Jun 2015, 15:21 Uhr
Bild: privat --- Kommt der Ausstieg aus der Euro-Zone und die Rückkehr zur Drachme?
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Drama in Athen - auch Oberberger bangen

fj, bv; 29. Jun 2015, 15:21 Uhr
Oberberg – Das finanzielle Chaos in Griechenland und die Ungewissheit über die weitere Entwicklung bewegt auch viele Menschen in der Region - Griechische Jugendgruppe sagt Gummersbach-Besuch ab.
Von Fenja Jansen und Bernd Vorländer

Grexit und Griechenlandkrise – derzeit vergeht kein Tag, an dem nichts eines dieser Wörter in den Nachrichten auftaucht. Kommt der Austritt Griechenlands aus dem Euro? Warum wehren sich Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis so vehement gegen weitere Reformmaßnahmen? Wollen die Griechen nicht sparen? Der morgige Dienstag wurde zum Tag der Entscheidungen erklärt, Athen muss einen Kredit über 1,6 Milliarden Euro beim Internationalen Währungsfonds (IWF) bedienen. Geld, das die Griechen nach eigenen Angaben nicht haben. Es drohen die Pleite und der Ausstieg aus dem Euro. Für Oberberg-Aktuell Grund genug, um mit griechischen Oberbergern über das Thema zu sprechen.


[Viele Oberberger haben Griechenland und die dortige Gastfreundlichkeit bereits kennengelernt. Jetzt sorgt man sich um die Zukunft.]

Haido Karakoulidou, Personalchefin beim Gummersbacher Unternehmen Oberberg Online, wurde in Athen geboren und lebt seit 45 Jahren in Deutschland. „Jeder zweite Grieche ist arbeitslos, jeder zehnte wird von der Tafel versorgt. In den Schulen sitzen unterernährte Kinder. Es herrscht Angst vor der Zukunft, die Selbstmordrate ist unverhältnismäßig hoch“, beschreibt sie die Situation in ihrer alten Heimat. Ganze Familien müssten von der Rente der Eltern oder Großeltern leben, da es in Griechenland kein Sozialsystem wie in Deutschland gebe. Nach einem Jahr ist Schluss mit Arbeitslosengeld, gleichzeitig sind Lebensmittel unverhältnismäßig teuer, Benzin gar unbezahlbar. Die EU-Staaten verlangten jedoch weitere Rentenkürzungen und Mehrwertsteuererhöhungen. „Wovon soll das Volk dann leben?“, sorgt sich Karakoulidou .

An der Regierung um Ministerpräsident Tsipras schätzt die griechische Oberbergerin die Authentizität: „Die alte Regierung war korrupt und hat zu allem Ja und Amen gesagt. Die neue Regierung versucht das Volk zu vertreten.“ Weder die Politik noch das griechische Volk wollten den Ausstieg aus der EU und der Euro-Zone, aber die Bedingungen der EU seien nicht erfüllbar. „Die Griechen zahlen ja, was sie können. Der Wille ist da, aber mehr geht nicht. Die Bürger können nicht noch mehr in die Knie gehen. In Griechenland herrschen jetzt schon Verhältnisse, wie nach einem Krieg“, so Karakoulidou. Sie spricht sich für die Möglichkeit einer „Länder-Insolvenz“ aus. „So werden auch Menschen und Unternehmen vor dem Ruin gerettet. Warum sollte man einem Land diese Möglichkeit verweigern?“


Spiros Moraitis ist in Deutschland geboren, in Athen hat er die Schule und seine Ausbildung absolviert. Seit 1990 ist Deutschland seine feste Heimat. Auch der examinierte Krankenpfleger ist sich sicher, dass die Griechen nicht noch mehr sparen können. „Der Rentner mit 300 € monatlicher Rente kann das Land nicht retten. Man müsste investieren, beispielsweise in den Tourismus. Doch durch die hohen Mehrwertsteuern macht man diesen Hebel auch noch unwirksam“, so Moraitis.

Für ihn hat sich Griechenland bereits kaputt gespart. „Europa und auch Angela Merkel und Wolfang Schäuble müssten anfangen, sich auch für das Volk zu interessieren. Wenn sie sich weiter von nüchternen Zahlenkalkulationen leiten lassen, halte ich den Grexit für die beste Lösung: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.“ Die Situation für die Menschen beschreibt er als humanitäre Katastrophe. Dass die ausländischen Medien trotz der vor Ort herrschenden Armut das Bild des sparunwilligen, faulen Griechen zeichnen, empfänden die Menschen als demütigend. „Man fühlt sich unverstanden und allein gelassen“, erklärt Moraitis.
  


Auch Gummersbachs Bürgermeister Frank Helmenstein zeigte sich tief betroffen von den Entwicklungen in Griechenland. „Das macht mich traurig und wütend zugleich“, so der Rathauschef, der auch persönlich sehr am griechischen Schicksal teilnimmt, da seine Mutter aus Korfu stammt. Bei allen Telefonaten und Mails verspüre er eine tiefe Unsicherheit, ja Angst, wie es jetzt weitergehe. „Das geht mir sehr nahe, weil man viele Menschen ja auch persönlich kennt“, so Helmenstein, der sich täglich mehrmals über die Entwicklungen im Heimatland seiner Mutter informiert. Dass die Eskalation inzwischen bis kurz vor den Staatsbankrott geführt habe, sei ein Drama. „Die derzeitige griechische Regierung spielt da mit dem Feuer.“

Unmittelbare Auswirkungen hat die heikle finanzielle Lage Athens auch für die Städtepartnerschaft, die Gummersbach mit der Stadt Afandou auf der griechischen Insel Rhodos pflegt. Der Besuch einer fünfköpfigen Jugendgruppe, die mit einem Betreuer in dieser Woche zur Ferienspaß-Aktion nach Gummersbach kommen wollte, wurde heute abgesagt. Zu unsicher seien die derzeitigen Verhältnisse, hieß es zur Begründung. Schließlich sei es derzeit auch nur noch möglich, 60 € an den Geldautomaten abzuheben. „Ich verstehe das absolut, dass man derzeit den Kopf nicht für Auslandsreisen frei hat“, so Helmenstein, der sich aber auch sicher ist, dass die „tiefe Freundschaft“ zwischen den beiden Ländern keinen Schaden nehmen werde.
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