Archiv

Die Kugel rollt seit 110 Jahren

bv; 3. Apr 2015, 13:12 Uhr
Bild: Bernd Vorländer --- Die ESTI-Mitglieder halten die Tradition des 110 Jahre alten Kegelklubs hoch.
ARCHIV

Die Kugel rollt seit 110 Jahren

bv; 3. Apr 2015, 13:12 Uhr
Gummersbach - Der wohl älteste Kegelklub der Region feiert jetzt Jubiläum und der Firmenname Steinmüller prägt bis heute das Gesicht des Vereins 'ESTI'.
Von Bernd Vorländer

Wir schreiben das Jahr 1905 - in St. Petersburg nimmt die Russische Revolution ihren Anfang, in Deutschland regiert mit Wilhelm II. noch ein Kaiser und in Gummersbach wird ein Kegelverein gegründet. Freilich nicht irgendeiner, sondern beheimatet bei einer Kesselbauschmiede. Es waren honorige Herren mit üppigem Bartschmuck, die sich damals zusammentaten - nicht nur, um eine ruhige Kugel zu schieben. Schließlich waren sie alle Mitarbeiter der Firma Steinmüller, die mit über 600 Beschäftigten bereits zu den potentesten Arbeitgebern der näheren Umgebung gehörte. Und die "Steinmüllerianer" waren entsprechend stolz auf ihr Unternehmen, das bereits zur Jahrhundertwende Dampfkessel für das In- und Ausland produzierte. So war es eine Auszeichnung, Mitglied im Verein zu sein und die Geselligkeit zu pflegen.

In der Endzeit des Kaiserreichs blickte die Firma Steinmüller auf eine in ihren Ursprüngen bereits 50-jährige Geschichte zurück. Und niemand hätte es für möglich gehalten, dass der Kegelverein noch 110 Jahre später bestehen würde. Tatsächlich feiert aber der wohl älteste Kegelklub der Region in diesen Tagen sein Jubiläum - immer noch umtriebig und voller Elan, auch wenn die Blütezeit des Unternehmens wie die Eigenständigkeit längst vorüber sind. Doch das Flair einer Firma, die einmal über 5.000 Beschäftigte hatte, besteht weiter und das Traditionsbewusstsein schweißt die Mitglieder auch im Jahr 2015 fest zusammen. "Für uns ist das immer noch etwas Besonderes, dazugehören zu dürfen", sagt Michael Wirtz, der derzeit mit 33 Jahren Mitgliedschaft am längsten dabei ist und regelmäßig kegelt. Wie groß die Verbundenheit mit dem Verein ist, dokumentiert Hans Jensen. Der 83-Jährige lebt inzwischen in Malente, doch den Jahresausflug lässt er sich nie entgehen. "Die Gemeinschaft und Kameradschaft sind unvergleichlich. Wer einmal kommt, bleibt meistens für immer", weiß Wolfgang Fuchs, der auch bereits seit 25 Jahren dabei ist.


Zwar gibt es aus der Anfangszeit des Vereins kaum Aufzeichnungen, doch belegen vergilbte Fotos, dass auch damals der Zusammenhalt groß gewesen sein muss. Bei den sogenannten Landpartien stärkte man die Gemeinschaft. Der Erste Weltkrieg lähmte offenbar auch das Vereinsleben, denn aus dieser Zeit gibt es kaum historisches Material. Interessant ist auch die Namensveränderung des Vereins. Ursprünglich gegründet als "Technischer Kegelklub" firmierte man ab 1921 als "Steinmüller Betriebs-Kegelklub" um ab 1951 den bis heute gültigen Namen beizubehalten: "ESTI ("Einer steht immer"). Gründlichkeit und Akkuratesse war nicht nur bei der Produktion der Steinmüller-Produkte gefragt, sie wirkt bis heute bei den Steinmüllerianern des Kegelvereins nach.

Seit 1921 werden Kegelbücher geführt und in 94 Jahren fehlt nur eines. In den über 60 Büchern sind Teilnahme, Fehlwürfe und Strafgelder akribisch aufgelistet. "Das ist unser Herzstück", freut sich der aktuelle ESTI-Präsident Hans Hemschemeier, dass 15 Männer die Tradition fortsetzen. Seit 1933 zählte man im Verein insgesamt 116 Mitglieder, unter ihnen auch Carl Hugo Steinmüller, Sohn des Dynastie-Mitbegründers Carl Steinmüller. Bis heute unerreicht ist die längste Mitgliedschaft im Verein - Manfred Hardemann gehörte von 1933 bis 1994 dem erlauchten Klub an.

Denn man wird auch heute nicht "mal eben" Mitglied. Auf Empfehlung kommen Neulinge zu den Vereinsabenden, früher gab es sogar Paten, die die Männer in der Zeit des Beitritts begleiteten. Nach einer Begutachtung fällen dann die Mitglieder die Entscheidung, die im Übrigen einstimmig ausfallen muss. "Es muss passen, wir brauchen einfach ein gutes Gefühl, dass der neue Mann unsere Gemeinschaft bereichert", sagt Wolfgang Fuchs. 15 aktive Mitglieder verzeichnet ESTI heute, der Jüngste ist 33 Jahre alt. Noch immer besteht der Verein hauptsächlich aus aktiven oder inaktiven Steinmüllerianern, doch es gibt auch Mitglieder ohne direkten Firmenbezug. Alle 14 Tage kegelt man gemeinsam im Restaurant Tropfsteinhöhle in Wiehl, vorher war man mehrere Jahrzehnte in Gummersbach-Herreshagen im "Haus Jäger" zu Gast, davor in der Gummersbacher Hermannsburg, als die Kegel noch per Hand aufgestellt wurden.

Legendär sind die jährlichen Vereinsausflüge, die häufig aufs Boot führten. Ijsselmeer, Kanäle, die Lagune von Venedig - die ESTI-Mitstreiter fühlen sich nicht nur auf der Kegelbahn gut aufgehoben. Über 50 Jahre pflegte man eine Freundschaft zu einem Kegelverein in Georgsmarienhütte. Während dort das Vereinsleben wegen Überalterung der Mitglieder eingeschlafen ist, sind die Gummersbacher quicklebendig. "Wir haben keine Nachwuchssorgen, uns gibt es auch noch in 20, 30 Jahren", sind sich Wirtz, Hemschemeier und Fuchs sicher.

Zum ESTI-Verein gehören heute: Dr. Michael Wirtz, Dr. Theodor Göbel, Ralph Häußer, Wolfgang Fuchs, Hans Hemschemeier, Dr. Walter Schäfers, Wolfram Engelking, Helmut Dreuscher, Götz, Hertel, Gerhard Schwuchow, Dr. Dieter Effenberger, Ralf Lauterbach, Frieder Wamsler, Benedikt Tressner, Dr. Walter Thielen und Hans Jensen.
  
WERBUNG