Archiv

Public Viewing im Schneegestöber?

lo; 6. Mar 2015, 15:24 Uhr
ARCHIV

Public Viewing im Schneegestöber?

lo; 6. Mar 2015, 15:24 Uhr
Oberberg - Was viele Fußballfans lange Zeit für einen schlechten Scherz hielten, ist seit vergangener Woche Realität: Die WM 2022 in Katar findet im November und Dezember statt - überall herrscht Unverständnis.
„Die Scheichs stehlen uns jetzt auch unseren WM-Sommer“ (La Stampa) - nur eine der vielen drastischen Pressestimmen nach dem Bekanntwerden der Nachricht, dass die FIFA-WM 2022 in Katar während der Monate November und Dezember durchgeführt werden soll. Nicht nur bei den Profiklubs sorgte dieser Beschluss für Kopfschütteln, auch die Amateurfußballer können sich für die Ideen des Weltverbandes nicht erwärmen. Autokorsos im Schneetreiben, ein WM-Finale, das am Tag vor Heiligabend angepfiffen wird - es gibt schönere Vorstellungen. „Ich kenne niemanden, der für die Entscheidung, die WM an Katar zu vergeben, Verständnis gezeigt hat“, sagt Rolf Müller, Vorsitzender des Fußballkreises Berg.

Frühzeitig hätte allen klar sein müssen, dass am Persischen Golf im Juni und Juli nicht gespielt werden könne. Müller glaubt nicht, dass die Verschiebung Auswirkungen auf den Spielkalender der Amateure haben wird. „Die Saison wird nicht unterbrochen. Man sollte es aber vielleicht so organisieren, dass während der WM keine Wochenspieltage sind, um Terminkollisionen mit möglichen Spielen der Deutschen Nationalmannschaft zu vermeiden“, schlägt Müller vor.  



Ralph Köhler, Trainer des Bezirksligisten SV Frielingsdorf, stößt in das gleiche Horn. „Man hätte die Möglichkeit gehabt, Katar die WM wieder abzunehmen, aber jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen.“ Aus Sicht der Nationalspieler sei es nachzuvollziehen, nicht im Sommer zu spielen. „Bei 45 oder 50 Grad Celsius wäre das absolut unmöglich gewesen.“ Die Auswirkungen auf den Spielbetrieb seien hingegen nicht absehbar. „Die Verlegung wird nicht nur die Saison 2022/23, sondern auch die davor und die danach betreffen. Wann sollen die Qualifikationsspiele stattfinden? Wie geht man mit dem Europapokal um? Vielleicht sollte man im Bereich der UEFA darüber nachdenken, sich am Kalenderjahr zu orientieren und von März bis November spielen zu lassen, wie es zum Beispiel in Skandinavien praktiziert wird. Allerdings kommt es dann alle zwei Jahre zu einem Problem, wenn im Sommer eine WM oder EM stattfindet“, so Köhler.

Der „normale“ Fußballfan hat sich ebenfalls auf völlig veränderte Rahmenbedingungen einzustellen. „Es wird bestimmt gewöhnungsbedürftig, Schneemännern eine Deutschland-Fahne umzuhängen“, scherzt Köhler. In Sachen Fanartikel für die WM 2022 sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Adventskränze in Schwarz-Rot-Gold? Schokoladen-Weihnachtsmänner mit dem Konterfei von Mario Götze? Man darf gespannt sein, in welche Marktlücken die Hersteller stoßen.

Nicht so angenehm dürfte es bei den Public Viewing-Veranstaltungen im Oberbergischen zugehen, die ungewollt zu Après-Ski-Partys mutieren -  statt Bier und Limonade gibt’s Glühwein und Punsch, Heizstrahler werden zum beliebten Treffpunkt. „Das ist in der Tat ein heikles Thema, wobei diese WM zeitlich sehr weit weg ist“, sagt Jan Garnefeld, der im vergangenen Sommer das Rudelgucken auf dem Steinmüller-Gelände in Gummersbach mitorganisierte. „Man muss sich nur vorstellen, dass ein Deutschland-Spiel bei Minusgraden in die Verlängerung geht. Da bleibt kein Mensch. Die durchschnittliche Verweildauer auf einem Weihnachtsmarkt liegt bei unter einer Stunde.“  

Ein Spiel dauert aber mindestens 90 Minuten und der Ball wird hoffentlich auch in sieben Jahren noch rund sein. Viele andere Dinge sind im Hinblick auf die Titelkämpfe im Wüstenstaat ungewiss. Dass FIFA-Boss Sepp Blatter kürzlich verkündete, das Endspiel nicht am 23. Dezember 2022 stattfinden zu lassen, ist für die allermeisten Fußballenthusiasten ein sehr schwacher Trost.  
  
WERBUNG