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Balanceakt zwischen Humanität und Finanzzwängen

bv; 21. Oct 2014, 13:34 Uhr
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Balanceakt zwischen Humanität und Finanzzwängen

bv; 21. Oct 2014, 13:34 Uhr
Gummersbach – Zahl der Flüchtlinge hat sich in Gummersbach in zwei Jahren mehr als verdoppelt – Stadt erhält nur eine Kostenerstattung von 20 Prozent – Bürgermeister sieht Flüchtlinge auch als „Chance für unsere Gesellschaft“.
Von Bernd Vorländer

Es sind hunderttausende Menschen, die derzeit nach Europa kommen. Sie fliehen aus den unterschiedlichsten Gründen – vor Krieg und Vertreibung, aus Hunger oder weil sie aufgrund ihres Glaubens verfolgt werden. Jeden Monat stranden diese oft traumatisierten Menschen auch in Deutschland und werden bei ihrer Unterbringung und Betreuung auf die Bundesländer verteilt. Ab diesem Zeitpunkt beginnen die Ungleichheiten. Während die Kommunen in Schleswig-Holstein oder Bayern nahezu 100 Prozent der Kosten ersetzt bekommen, sind es in Nordrhein-Westfalen erheblich weniger.

Zwar hat der gestrige Flüchtlingsgipfel in Essen dafür gesorgt, dass das Land NRW Städte und Gemeinden stärker unterstützen will, doch eine erkleckliche  Finanzierungslücke bleibt. 1,6 Millionen Euro gibt die Stadt Gummersbach etwa im Jahr 2014 für Menschen aus, die als Flüchtlinge in die Stadt kommen und Hilfe benötigen, lediglich 316.000 Euro werden vom Land erstattet. Und im Jahr 2015 dürfte sich aufgrund des zu erwartenden Flüchtlingsstroms die Differenz weiter erhöhen. Zwar rechnet man in der Kreisstadt mit Zuwendungen von 435.000 Euro, doch die geschätzten Kosten steigen auf 2,2 Millionen Euro.


„Unter diesen Aspekten und bei der gleichzeitigen Eintrübung der Wirtschaftslage wird es äußerst schwierig, die Ziele des Stärkungspaktes zu erfüllen“, warnt Gummersbachs Kämmerer Raoul Halding-Hoppenheit. Die nachlassende Konjunktur macht sich mit geringeren Steuereinnahmen bemerkbar, sodass die Erwartungen zurückgefahren werden müssen. So dürfte man bei der Haushaltseinbringung in der kommenden Woche an moderat steigenden Steuersätzen nicht vorbeikommen.

Gummersbachs Bürgermeister Frank Helmenstein beugt aber der Tendenz vor, die Flüchtlinge lediglich unter Kostengesichtspunkten zu betrachten. „Es ist unsere vornehmste Pflicht, Menschen zu helfen, die in Not sind. Das müssen und werden wir auch schaffen“, sieht er zwar das Land in der Pflicht, die Kommunen stärker zu unterstützen, betont aber auch die Bereitschaft von Stadt, Kirchen  und Wohlfahrtsverbänden, sich der ankommenden Menschen anzunehmen. Derzeit sind es 220 Flüchtlinge, die in Gummersbach ein erstes Zuhause in einer für sie neuen Welt finden – mehr als doppelt so viel wie vor zwei Jahren. Und die Tendenz ist weiter steigend. Zudem erhält die Stadt nur die Kosten für 133 Menschen teilweise erstattet. Bei den Übrigen handelt es sich um geduldete Flüchtlinge, deren Asylgesuch abgelehnt wurde, die aber aus humanitären Gründen nicht abgeschoben werden.

In Gummersbach hält man nicht viel von Sammelunterkünften. „Das wollten wir vermeiden, weil dort oft Konflikte entstehen“, so Helmenstein. Deshalb hat man einen Großteil der Flüchtlinge in angemieteten, möblierten Wohnungen untergebracht, um dem "Ghettoeffekt" entgegenzuwirken. In den Wohnungen erwartet die Menschen ein „Erstausstattungspaket“ mit Bekleidung und Dingen des täglichen Bedarfs.

Doch in der Folge beginnen die Herausforderungen, „die trotz des großen Einsatzes von Sozialamt und vielen Freiwilligen nur sehr schwer gemeistert werden können“, sagt Halding-Hoppenheit. Viele Flüchtlinge benötigten psycho-soziale Betreuung, um Erlebtes zu verarbeiten. Für die derzeit 27 schulpflichtigen Kinder, die meisten ohne jede Deutschkenntnisse müssten Angebote geschaffen werden, die medizinische Versorgung gelte es sicherzustellen. Im Prinzip müssten manche Flüchtlinge an die Hand genommen werden, um den Umgang mit Bargeld zu erlernen und zu wissen, wie man die notwendigen Einkäufe erledige.  

Für Helmenstein und Halding-Hoppenheit sind die Flüchtlinge indes mehr als nur Zahlen. „Wir haben eine menschliche Verantwortung und der wollen wir auch gerecht werden“, sagt der Kämmerer. Für  Rathauschef Helmenstein sind die Menschen aus anderen Kulturkreisen auch angesichts der bevorstehenden demografischen Probleme „eine echte Chance für unsere Gesellschaft“. Die meisten wollten am liebsten sofort arbeiten und würden lediglich von den deutschen Gesetzen abgehalten. Ohne Arbeitserlaubnis dürfen Flüchtlinge nämlich nicht arbeiten und keine Ausbildung machen. Für Asylsuchende und Geduldete ist die Arbeit in den ersten neun Monaten ihres Aufenthalts ganz verboten. Erst nach vier Jahren Aufenthalt in Deutschland dürfen Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge ohne Einschränkungen einer Beschäftigung nachgehen. Diese Regelungen sollten bundespolitisch überprüft werden, empfiehlt Helmenstein.
  
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