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Das Tro-Tro und andere Mysterien - Fortbewegung in Ghana

ma; 27. Jun 2013, 11:05 Uhr
Bilder: Marie Albrecht --- Ein ganz normaler Bustransport in Bimbilla.
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Das Tro-Tro und andere Mysterien - Fortbewegung in Ghana

ma; 27. Jun 2013, 11:05 Uhr
Gummersbach - Die Gummersbacherin Marie Albrecht absolviert einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst an einer Schule in Ghana und schildert auf OA ihre Erlebnisse und Erfahrungen.
Liebe Leser,

Mit einem kleinen Puff geht der Motor bei 70 Stundenkilometern auf einmal aus. Sämtliche Passagiere halten den Atem an, als der Fahrer seelenruhig den Wagen ausrollen lässt und ihn erneut startet. Er kennt das anscheinend schon. Der Motor stottert eine gefühlte Ewigkeit lang und springt dann, dem Himmel sei Dank, an. Jeder im Tro-Tro atmet wieder aus. Weiter geht die Fahrt.

Tro-Tros sind für Langstrecken das Fortbewegungsmittel Nr. 1 in Ghana. In Deutschland werden diese Lieferwagen hauptsächlich als Arbeitswagen für Handwerker-, Bäckerei- oder Lieferunternehmen verwendet, in Ghana werden in deren Gebrauchtwagen ganz einfach Fenster eingesetzt und auf die ehemalige Ladefläche Sitze geschraubt, der äußerste jeweils zum Hochklappen, damit auch die hinteren Reihen gut einsteigen können. Je nach Größe passen inklusive Fahrer schließlich so zwölf bis 24 Personen hinein. Stopfen und Stapeln ist aber vor allem auf Kurzstrecken trotzdem üblich. Da kann es schon mal vorkommen, dass auf einer Rückbank letztendlich statt nur drei Personen, vier Erwachsene, ein Baby, zwei Kleinkinder und drei Reisetaschen sitzen.

Die Polizei ist an diesen Anblick schon gewöhnt und regt sich meistens nicht drüber auf. Wenn es nicht gänzlich ignoriert wird, zahlt der Fahrer eben ein oder zwei Cedi Strafe und beide Seiten freuen sich: Die Polizei über die zusätzlichen Einnahmen, der Fahrer, weil er an der hohen Anzahl Passagiere mehr verdient, als er bei den Verkehrspolizisten lassen muss. Tro-Tros können einen von einem Ende des Landes zum anderen bringen (mit nur ein oder zweimal umsteigen) und kosten relativ wenig. Von Swedru bis Accra, eine Strecke von mindestens anderthalb Stunden, zahle ich beispielsweise nur 3,50 Cedi, umgerechnet also circa 1,40 €. Andere Tro-Tros fahren nur innerhalb der Großstädte und laden Passagiere an diversen „Bus Stops“ ein und aus – fast wie eine U-Bahn.


[Die Metro-Mass-Station in Kumasi.]

Direkt an der großen Schiebetür, welche auf der rechten Seite der Ladefläche angebracht ist, sitzt der „Mate“ (zu Deutsch „Kumpel“) und hängt sich aus dem Fenster, wobei er laut die Stationen, beziehungsweise den Zielort des Tro-Tros ausruft und dem Fahrer durch ein Klopfen auf die Karosserie verständlich macht, wann das Fahrzeug anhalten soll, um Menschen ein- oder auszuladen. Der Mate sammelt das Geld während der Fahrt ein, öffnet und schließt die Tür, nimmt Gepäck durchs Fenster entgegen oder lädt es ein und aus. Außer Fahren hat der Fahrer selbst nicht viel zu tun. Der Mate ist meistens so zwischen 16 und 25 Jahre alt(während der Schulferien kann das aber auch schon mal auf zwölf Jahre runtergehen) und ein wahrer Meister darin, sich behände in und aus dem Fahrzeug zu hangeln, während der Fahrer immer noch oder schon wieder fährt.


[Beladen des Tro-Tro Daches in Bolgatanga.] 

Egal ob man eine kurze oder lange Fahrt vor sich hat, Tro-Tro-Fahren ist immer ein Abenteuer für sich. Mal fällt die Schiebetür während der Fahrt aus der Schiene, mal springt einem eine Ziege vor das Fahrzeug, mal platzt der Reifen, mal steigt ein Pfarrer mit ein und animiert alle Passagiere zu lauten Gebeten und Gesängen, mal kracht der Sitz ein, während man noch drauf sitzt. Auf Facebook gibt es eine „Tro-Tro Appreciation Society“ welche augenzwinkernd beobachtet hat, dass ein richtiges Tro-Tro aus rund 40 Prozent Sitzplätzen, zehn Prozent Rädern, 20 Prozent (und weniger) Boden, Decke und Seitenflächen und 30 Prozent Seil oder Panzertape besteht. Das mag bei einigen Exemplaren durchaus stimmen (einmal war der Boden so durchgerostet, dass ich unter mir auf die Straße schauen konnte – leicht beängstigend!), aber es gibt auch durchaus sehr schnittige Gefährte, mit eingebautem Fernseher und verkleideter Decke. Nur was für ein Auto man erwischt – das weiß vorher eben keiner.

Trotzdem liebe ich Tro-Tro fahren. In der Regel läuft laut ghanaische Musik, der Wind fegt einem durch die Haare und in atemberaubender Geschwindigkeit rauscht man durch Ort- und Landschaften. Muss das Auto doch mal halten, ist es meist in kürzester Zeit von Händlern umringt, die ihre Waren auf dem Kopf transportieren. Vom Trinkwasser über Obst und Fisch, bis hin zum Handyguthaben, Kopfkissenbezug oder Besen – aus einem Tro-Tro-Fenster kann wirklich fast alles eingekauft werden. Tro-Tro-Fahren ist unglaublich praktisch, meist sehr unterhaltsam und auch wenn sämtliche Knochen durchgeschüttelt werden, so bedeutet es für mich doch ein großes Stückchen Ghana.
 

[Fahrrad- und Reifentransport auf ghanaisch.]

Der Name „Tro-Tro“ ist Lautmalerei und beschreibt perfekt das Fortbewegungsgeräusch dieses Fahrzeugs mit oft extremst lautem Motor. Ein Tro-Tro kennt keinen Fahrplan und fährt ganz einfach dann los, wenn es voll ist. Besetzt man den letzten Platz, hat man Glück gehabt, im schlimmsten Fall ist man Erster und kann noch beliebig lange (zwischen zwei Minuten und sechs Stunden ist je nach Strecke und Tageszeit alles möglich) warten, bis man endlich lostro-troen kann.

Einen noch schöneren Namen trägt das Motorrad oder Mofa, welches meist kurz „moto“ genannt wird, auf korrektem Fante aber eigentlich „okutukutufεmfεm“ (sprich: okutu-kutu-fämfäm) heißt. Ein besseres Beispiel für Onomatopoesie gibt es wohl kaum. Vor allem im Norden Ghanas wird sehr viel Mofa gefahren, im Gegensatz zum Nachbarland Togo ist das bezahlte Mitnehmen von Fremden, kurzum die Praxis des „Taxi Motos“, aber aus Sicherheitsgründen verboten.


[Buntes Treiben auf der Tro-Tro-Station in Tamale .]

Wer also in ländlicheren Regionen auf Kurzstrecken fahren will, hält sich durch Rausstrecken des Armes eines der zahlreichen Taxis an, einfach zu erkennen an den gelborangenen Seitenflügeln. Oft schreit man dem Fahrer schon beim Ranfahren den Zielort zu (hier in Swedru beispielsweise „Zongo“, „Texaco“, „Mandela“ oder „Pipetank“) oder zeigt mit dem Finger in die entsprechende Richtung, damit dieser ablehnend mit der Hand winken kann, sollte er bereits auf einer anderen Strecke unterwegs sein, und so gar nicht mehr anhalten muss.

Die Taxis fahren oft im Kreis oder Hin-und Her und laden überall wo gewünscht Menschen ein und aus, meistens sitzt man also zu fünft darin. Das nennt man Share-Taxi (zu Deutsch etwa „geteiltes Taxi“). Man kann sich aber auch ein Taxi alleine nehmen und bis in die hinterste Ecke vor die Haustür fahren lassen. Das nennt man „Dropping-Taxi“(zu Deutsch etwa „Absetzen-Taxi“), wofür man in Swedru pauschal 5 Cedi (circa 2€) bezahlt. Eine Share-Taxi-Fahrt kostet im Vergleich dazu nur 60 Pesewas, also ungefähr 25 Cent, und kann schon mal bis zu fünf Kilometer lang sein. Von solchen Preisen für öffentliche Verkehrsmittel können wir in Deutschland nur träumen.


[Ein schickes Tro-Tro mit Aufschrift einer Heidelberger Bäckerei.]

Seit einigen Jahren gibt es auch die staatlichen Metro-Mass-Busse, sowie einige private Busunternehmen, die in Großraum- oder Reisebussen hauptsächlich die wirklich langen Strecken quer durchs Land bedienen.

Waren (auch Tiere) werden viel mit Lastwagen, manchmal aber auch mit dem Tro-Tro transportiert und dabei meist abenteuerlich in, auf und um das Fahrzeug gebunden. Verkehrsregeln und Geschwindigkeits-begrenzungen gibt es, werden aber meist einfach ignoriert. In der Regel brettert man mit atemberaubender Geschwindigkeit durchs Land, überholt abenteuerlichst (was meist mit lautem Protest der Passagiere quittiert wird), drängelt sich aus der Neben- auf die Hauptstraße und hupt vor allem ständig. Hupen kann vieles bedeuten: „fahr mal schneller!“, „Ziege/Mensch/Schlagloch geh mir aus dem Weg!“, „Hey, ich sause auf einer schmalen Straße über eine Hügelkuppe und solltest du dahinter sein, springst du jetzt besser ins Gebüsch“, „Ah Kojo, wie geht’s dir?“, „Du fährst wie die letzte Sau!“, „Achtung, ich komme!“, „Hey Leute, ich hab noch Plätze frei!“, „Sorry, ich hab leider keinen Platz mehr frei“ - all das findet man nach einer Weile einfach raus.


[Taxi- und Tro-Tro-Schrottplatz.]

Wer ein bisschen Gottvertrauen, einen nicht allzu engen Zeitrahmen und kein allzu ausgeprägtes Kontrollbedürfnis hat, kann im ghanaischen Personenverkehr also durchaus viel Spaß haben. Besonders das Tro-Tro-Fahren scheint mir fast ein bisschen wie Ghana selbst: etwas chaotisch, jede Fahrt ziemlich unvorhersehbar, aber auf beste Art und Weise selbst organisiert und dabei ungeheuer sympathisch.

Letzte Woche kam ich in den seltenen „Genuss“ eines Tro-Tros mit Klimaanlage. Ich war auf der Rückfahrt von der togolesischen in die ghanaische Hauptstadt und hatte ein wunderbares, aber nicht gerade mit Schlaf gespicktes Wochenende hinter mir. Ich beschloss also auf der dreistündigen Fahrt auszuruhen und legte meinen Kopf nach vorne auf meinem Rucksack. Leider war die Klimaanlage so voll aufgedreht (wenn schon, denn schon!), dass mein Gesicht zu erfrieren schien. Ich zog mir also meinen leider ziemlich dünnen Schal über den Kopf und nickte langsam, aber immer noch ganz schön frierend ein. Kaum war ich wirklich eingeschlafen, spürte ich etwas an meinen Schultern und schaute hoch. Die Oma auf dem Sitz hinter mir hatte ihr Hüfttuch der Frau neben mir gereicht, die es nun vorsichtig um meine Schultern und Kopf legte, damit ich besser schlafen konnte. Nicht nur deswegen würde ich wohl jederzeit ein Tro-Tro dem deutschen Linienbus vorziehen: Dieser ist zwar meist pünktlich und gut gewartet, doch es mangelt ihm leider an Herzlichkeit.

In diesem Sinne: Gute Fahrt!

Ihre Marie Albrecht
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