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'Krankes System' fordert weitere Opfer

js; 14. Oct 2014, 15:42 Uhr
Bilder: Michael Kleinjung --- Stefanus Paas kritisiert das Prüfungssystem von Krankenkassen und Kassenärtlicher Vereinigung. Die geforderten Regresszahlungen könnten das Ende seiner Praxis bedeuten.
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'Krankes System' fordert weitere Opfer

js; 14. Oct 2014, 15:42 Uhr
Bergneustadt – Hausarzt Stefanus Paas soll 34.200 € für das Überschreiten seines Arzneimittelbudgets zahlen – Die Regressforderungen lassen den Mediziner über die Schließung seiner Praxis nachdenken.
In Zeiten des Ärztemangels, in denen die Politik mehr junge Ärzte in ländliche Gebiete holen will, ist nicht nachvollziehbar, was die bereits praktizierenden Landärzte derzeit zu befürchten haben. Diejenigen, die über das übliche Maß hinaus Betreuung übernehmen, werden von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und den Krankenkassen mit Regressforderungen abgestraft. Nachforderungen für die Überschreitung des festgelegten Medikamentenbudgets flattern immer mehr Hausärzten ins Haus und stellen die Mediziner vor eine ausweglose Situation, in der praxisbezogene Besonderheiten nicht berücksichtigt werden.

Nach dem Lindlarer Arzt Dr. Jörg Blettenberg (OA berichtete) bekommt jetzt auch der Bergneustädter Hausarzt Stefanus Paas die Auswirkungen des starren Reglements zu spüren. 2011 soll der Facharzt für Innere Medizin, Palliativ- und Notfallmedizin sein Medikamentenbudget um 16.000 € überzogen haben und die Summe nun aus eigener Tasche bezahlen. „Ich befinde mich immer in der Bredouille, überschreiten zu müssen“, so Paas, der chronisch Kranke drei Monate lang mit nur 130 € behandeln soll. Für alle rund 1.000 Patienten habe er laut Vorgabe im Quartal etwa 70.000 € zur Verfügung. Zu wenig, wenn man auch Schwerstkranke und Palliativpatienten versorgen will.

Paas legte Widerspruch beim Beschwerdeausschuss von Krankenkassen und KV ein. Gemeinsam mit seiner Frau Heike, die ebenfalls in der Praxis arbeitet, hatte der 47-Jährige damals knapp 2.700 Bildschirmseiten durchsucht und Besonderheiten in der Patientenversorgung herausgefiltert. Die bei der Sitzung vorgetragenen Einwände und Erklärungen brachten dennoch keinen Erfolg.

Dass Paas neben Palliativpatienten mit erhöhtem Schmerzmittelbedarf auch chronisch kranke Patienten medikamentös versorgt, konnte den Ausschuss Ende September nicht überzeugen. Einzig von einer Regressforderung in Höhe von 9.800€, die für die Behandlung einer einzigen Krebspatientin anfiel, rückte man ab. Wie Paas erklärt, seien seine Einwände am Ende der Anhörung mit einer harschen Bemerkung des Vorsitzenden Dr. Peter Backes weggewischt worden. So habe der Jurist verkündet, dass nur das Hühnerauge beim Augenarzt noch eine Praxisbesonderheit sei.


Nur zwei Tage später erhielt der Bergneustädter Post mit weiteren Regressforderungen. Auch für 2012 soll der Mediziner zahlen, diesmal sogar 28.000 €. Paas will nun noch einmal Widerspruch einlegen, dazu muss er wieder fast 2.700 Bildschirmseiten und 10.000 Rezepte in Augenschein nehmen. Seine Praxis bleibt deshalb zwischen dem 17. und 21. November geschlossen. Nach der Anhörung wird der Ausschuss vermutlich wieder auf einen Teil der Zahlung verzichten. Der Kampf um mehr Verständnis und eine Erhöhung des Medikamentenbudgets würde aber über Jahre weitergehen. „Ist man einmal in der Prüfungsspirale drin, kommt man nicht mehr heraus. Die Prüfung wird über etwas fünf Jahre immer wieder wiederholt werden“, so Paas.

Wenn die Verantwortlichen weiter auf ihren Regressforderungen beharren, will Paas seine Praxis im kommenden März schließen und seine Kassenzulassung zurückgeben. In einem solch „kranken System“ wolle er nicht mehr weiterarbeiten. Auch seiner Frau und seinen zwei Kindern wolle er einen solch zermürbenden Prozess nicht weiter zumuten. Inzwischen schaue er sich intensiv auf dem Arbeitsmarkt um. Ein Angestelltenverhältnis in Deutschland oder eine Auswanderung sei für ihn denkbar. Die Praxisschließung in Bergneustadt und eine Insolvenzanmeldung steht für Paas zwar noch nicht fest, sollten Politik und Krankenkassen aber kein Einsehen haben, sieht er keine andere Lösung.

Um die Verantwortlichen aufzurütteln, setzt der Hausarzt nun auf seine Patienten. In der Praxis ausgelegte Informationszettel rufen zum Einschalten der Medien und der Politik auf. „Die Rückmeldung ist sowohl qualitativ als auch quantitativ gigantisch“, so Paas, der nun über eine gemeinsame Reise nach Düsseldorf nachdenkt. Mit seinen Patienten würde er die Prüfungsstelle besuchen und einen Brief abgeben. Außerdem würde er gerne mit NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens über die Problematik sprechen. Bisher ist der Ausflug nur eine Idee, aber auch in der Zwischenzeit ist Paas nicht untätig. Briefe an die Bundeskanzlerin und Emails an weitere Politiker wurden bereits verschickt.

Außerdem steht er in Kontakt zu weiteren betroffenen Ärzten. Neben Paas und Dr. Blettenberg hat nämlich ein weiterer oberbergischer Mediziner mit Regressforderungen zu kämpfen. Er habe Paas telefonisch darüber unterrichtet, dass er nach der Heilmittelprüfung 2012 Regresszahlungen von 16.000 € leisten müsse.
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