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Fremdschämen – ja bitte

bv; 22. Nov 2011, 11:47 Uhr
Oberberg Aktuell
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Fremdschämen – ja bitte

bv; 22. Nov 2011, 11:47 Uhr
Oberberg - Und wieder redet unser 'Drickes' Klartext. Mal Liebenswürdig, mal nachdenklich spießt er den Alltag auf. Heute geht es um die Vorkommnisse rund um den Selbstmordversuch des Bundesligaschiedsrichters Babak Rafati.
Es gibt Tage, da kann man  sich gar nicht so viel fremdschämen wie man eigentlich müsste. Sicher, nicht erst seit gestern sind Wichtigtuer, verbale Dünnbrettbohrer und selbst ernannte Fachleute in den Medien unterwegs, um uns die Welt zu erklären. Niemand zählt, wie oft sie schiefliegen und leider kann sich auch heute noch jeder als Journalist bezeichnen, der seine Finger unfallfrei auf einer PC-Tastatur ablegen oder ein Mikro halten kann und diesen Möchtegernen eine Bühne gibt.

Was ist seit dem vergangenen Samstag, als der Fußball-Schiedsrichter Babak Rafati einen Selbstmordversuch unternahm, nicht alles über die Hintergründe gemutmaßt worden. Zuvorderst der nur noch peinliche DFB-Präsident Theo Zwanziger, der – ohne jede eigene Erkenntnis – noch am selben Abend von den ungeheuren Belastungen als Schiedsrichter, vom Druck auf die Referees schwadronierte. Während sich verantwortungsbewusste Zeitgenossen zurückhielten, bot der oberste Fußballer allen Voyeuren Nahrung, malte verbal Bilder von dem in der Hotelbadewanne in seinem Blut liegenden Unparteiischen.

Es folgten die so genannten Experten, die schnell wissen wollten, dass Rafati sicherlich in den derzeit gärenden Skandal um vermeintlich nicht gezahlte Steuern von Schiedsrichtern verwickelt sei und deshalb wohl nur noch diesen fatalen Ausweg aus seiner Lage gesehen habe. Und so drehte sich das mediale Rad immer schneller, kaum eine Zeitung, ein Radio ein Fernsehsender, die nicht die Geschichte erzählten, wonach der Profi-Sport in seiner individuellen Belastung immer unerbittlicher werde. Bereitwillig diktierte man in Blöcke und brabbelte in Mikrophone. Doch alle lagen falsch, beschämend falsch. Wie wir jetzt wissen, hat Rafati aufgrund privater Probleme versucht, sich das Leben zu nehmen.

Und in wenigen Tagen wird das Thema aus den Medien verschwunden sein, die sensationslüsterne Karawane wird weiterziehen, denn schließlich sind es „nur“ private Gründe. Und wäre Rafati nicht Bundesliga-Schiedsrichter, man hätte ihm keine Zeile und keine Sende-Sekunde gewidmet. Im Jahr 2010 starben 10.021 Menschen in Deutschland, die sich selbst umbrachten. Hinter jedem Mensch stand ein persönliches Schicksal, aber ihre Geschichte erzählt niemand.  

Ihr Drickes

Bernd Vorländer    
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