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„Das war ein reines Psychospiel“

db; 22. Aug 2010, 21:57 Uhr
Bilder: Daniel Beer.
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„Das war ein reines Psychospiel“

db; 22. Aug 2010, 21:57 Uhr
Oberberg – Anne Waldvogel aus Lindlar saß 63 Tage in Deutschlands bekanntestem „TV-Knast“, dem Big Brother-Haus. Mit OA sprach sie über ihre Erlebnisse, Lästereien und eine Erdbeersahne-Überraschung.
Von Daniel Beer

Kürzlich endete die mittlerweile zehnte Staffel der Fernsehshow Big Brother. Am 7. Juni zog auch eine Oberbergerin in den TV-Container. Anne Waldvogel blieb bis zum Finale und wurde am Ende sogar sensationell Dritte. Mit 65 Jahren war sie die älteste Teilnehmerin der Sendung weltweit. Von den Medien bekam sie den Spitznamen „Oma-Anne“. Im Interview mit Oberberg Aktuell erklärt sie unter anderem, warum ihr der Name nicht gefällt, denn alt fühlt sich die Lindlarerin noch lange nicht.  

OA: Wie kam es zur Teilnahme an Big Brother?

Waldvogel: Ich habe mich schon vor fünf Jahren beworben und wäre auch genommen worden. Dann aber wurden mein damaliger Lebensgefährte und meine Schwiegertochter sehr krank, beide sind leider inzwischen verstorben, so dass mich diese persönlichen Umstände zu sehr belastet haben. Ende vergangenen Jahres hatte ich eine Ausstellung in Wipperfürth und eine Freundin sagte, dass ich mich noch einmal bewerben soll.

Sie haben immer ein Casting mit sechs anderen Personen und sitzen dann vor einem Tisch mit Psychologen sowie Redakteuren. Dort werden einem viele Fragen gestellt und man muss als Gruppe kleinere Aufgaben lösen. Schon in dieser Gruppe habe ich gemerkt, wie stark die Ablehnung gegen das Alter war. Dabei leben wir in einer überalterten Gesellschaft, ein bisschen Rücksichtnahme sollte man da erwarten. Zuerst bekam ich eine Absage, aber dann kam doch eine Zusage und eine Woche vorher wurde ich gefragt, ob ich noch Lust hätte einzuziehen. Mir ist vollkommen klar, warum man mich dort rein geschickt hat, ich sollte polarisieren.   


OA: Wie haben Freunde, Bekannte und Familie auf Ihre Teilnahme reagiert?

Waldvogel: Mein Sohn war absolut dagegen und findet das auch bis heute gar nicht gut. Freunde und Nachbarn fanden es toll.

OA: Was waren Ihre Beweggründe für die Teilnahme?

Waldvogel: Drei Punkte hatte ich mir vorgenommen: Zu zeigen, dass alt nicht gleich alt ist, denn ich sitze nicht nur im Schaukelstuhl und stricke. Ich habe noch nie in einer WG Matratze an Matratze mit anderen Menschen gelebt. Wie reagiere ich darauf und halte ich so eine Situation nervlich aus? Der dritte Punkt: Wie reagiert Jugend auf Alter? Der erste Punkt ist mir mit Sicherheit gelungen.   

OA: Wie hat sich Ihr Leben seit dem Ende der Sendung verändert?

Waldvogel: Ich habe gerade meine Autogrammkarten abgeholt, man glaubt es nicht, aber so etwas muss wohl sein. Die hat der Fotograf Michael Beisken aus Lindlar für mich gemacht.  Ich habe 2.000 E-Mails bekommen, die ich auch alle beantwortet habe. Dabei gab es ganz wenig negative Kritik und die gab es größtenteils von Damen meines Alters. Da hieß es, ich hätte mich nicht altersgemäß verhalten. Es waren aber auch jede Menge Heiratsanträge dabei, das ist schon sehr lustig. Die Zugriffszahlen meiner Homepage sind förmlich explodiert.

Jetzt bin ich etwa eine Woche draußen und merke schon, wie der Hype nachlässt. Ich bin auch froh, dass sich alles beruhigt hat.  Am Freitag war ich in Köln Schuhe kaufen, da sind die Leute hinter mir her gelaufen. Es gab auch viele Rückmeldungen von jungen Leuten, die gesagt haben „Wir möchten im Alter auch so sein wie du“.

Die Nachbarn haben mir gratuliert und einige Jugendliche haben aus ihren Autos wohl gerufen „Anne, wir lieben dich“. So schlimm kann ich also nicht gewesen sein (lacht). Kürzlich sollte ich zu einem Benefiz-Fußballturnier. Da bin ich aber nicht hingegangen.

OA: Auf dem Abo-Sender Sky gab es die Sendung 24 Stunden Live. Was haben die Zuschauer der Tageszusammenfassung verpasst?

Waldvogel: Nur wer es auf Sky Live gesehen hat weiß, wie es wirklich war. Die Zusammenfassungen waren sehr reißerisch aufgebaut, um gute Quoten zu erreichen. Meine Nachbarin sagte zu mir: „Wir haben uns erschrocken, das bist doch gar nicht du“.

Ich wurde unter anderem an einen Lügendetektor angeschlossen, mir wurden etwa 50 Fragen gestellt und ich wurde nur nach Sex gefragt. Solange, bis ich merkte, die wollen doch was hören. Auf die Frage „Hättest du gerne Sex mit Marc“ habe ich dann einfach mit „Ja“ geantwortet. In der Tageszusammenfassung wurde dann nur diese Antwort gezeigt.


[Frisch aus dem Druck: Die Autogrammkarten von "Anne".]

OA: In der Öffentlichkeit wurde Ihre Person oft kontrovers diskutiert, wie erklären Sie sich das?  

Waldvogel: Wenn man sich auf so etwas einlässt, muss man mit allem rechnen. Sie wissen selbst, wie die Medien Dinge steuern können. Mit meinem Einzug sind die Einschaltquoten wieder deutlich gestiegen. Gelästert haben wir aber alle, denn wir hatten nichts zu tun. Es hieß nicht umsonst „Die härteste Staffel aller Zeiten“, es war ein reines Psychospiel. Man durfte zwischendurch nicht schlafen und Aufgaben gingen bis 4 Uhr morgens. Es war schon heftig und ich bin an meine nervlichen Grenzen gekommen. 

OA: Wie haben Sie sich mit den anderen Bewohnern verstanden?

Waldvogel: Katrin war eine ganz üble Person, obwohl ich mich beim Einzug auf sie gefreut hatte. Deren Lästerstunde war immer nachts im Garten, mit ihren Fahnenträgern Robert und Timo. Bei den fünf Finalisten gab es dann Marc und mich. Der Graben zu den anderen war so tief, dass wir nach Möglichkeit auch nicht zusammen gegessen haben. Oft blieb mir nur die Möglichkeit zu lachen und zu lästern, denn wenn man auf die Attacken eingeht, fängt man an sich zu ärgern.

OA: Wie war Ihr erster Eindruck, nach dem Einzug?

Waldvogel: Als ich in das Haus kam, war es dort schrecklich dreckig.

OA: Sie wollten Ordnung in diesen Haushalt bringen?

Waldvogel: Klaus war sehr froh als ich kam, denn das ist auch ein sehr ordentlicher Mensch. Wir hatten den sogenannten Showroom. Dort gab es zwei Kühlschränke und man kann es sich nicht vorstellen, wie dort mit Essen umgegangen wurde. Was alles weggeworfen wurde und offen herum stand, es war einfach unbeschreiblich. Ich muss sagen, wenn das der Querschnitt der deutschen Jugend ist, dann gute Nacht Deutschland.

OA: Denkt man im Haus über die Kameras nach?

Waldvogel: Ich habe die Kameras ganz schnell vergessen und auch nicht dauernd in die Spiegel geguckt, hinter denen sich Kameras befanden. 

OA: Einmal haben Sie sich als lebende Erdbeersahne-Muse präsentiert, wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Aktion?

Waldvogel: (lacht) Da wurde ich auch schon gefragt, wie ich denn auf diese Schnapsidee gekommen sei. Es war zum Geburtstag für Klaus und ich habe halt mal öfter Ideen. Ich habe einfach eine positive Lebenseinstellung und was andere darüber denken, ist mir egal.  Endemol fand das wohl sehr lustig und hat mich unterstützt. Klaus hat sich auch sehr gefreut.

OA: Wie lautet Ihr Fazit der Zeit im BB-Haus?

Waldvogel: Das war insgesamt eine sehr interessante Erfahrung für mich und dank Klaus und Marc hatte man auch viel zu lachen. Insgesamt war es eine schöne Zeit, auch wenn es manchmal hart war. 

OA: Hat der Richtige gewonnen?

Waldvogel: Klaus war für mich der Sieger Nummer eins. Als er raus gewählt wurde, hat das kein Mensch verstanden. Ich glaube, von ihm wird man noch viel hören, denn er ist ein sehr sympathischer, schlauer und intelligenter Mann. Er wird seinen Weg machen.

Timo hat total unverdient gewonnen, das ist ein Mann ohne Struktur und Profil. Bei ihm fliegen die kleinen Mädchen natürlich auf die hellblauen Augen und letztlich geht es ums anrufen. Ich persönlich hätte nicht mit meinem dritten Platz gerechnet.  

OA: Sie waren dreimal nominiert, wie haben Sie das empfunden?

Waldvogel: Ich war  nie nervös, dass ich rausfliege, ich hätte mich dann auch wieder auf mein zu Hause gefreut. Bei jeder Abstimmung bin ich auch davon ausgegangen, dass ich gehen muss. 

OA: Sie sind aber nicht vorzeitig rausgeflogen? 

Waldvogel: Ja, ich habe neun Wochen durchgehalten, den dritten Preis gewonnen und freue mich jetzt auf eine tolle Reise zusammen mit meinem Sohn. Jeder der sagte „Wie hat die sich den benommen“ sollte selber ins Haus gehen. Wenn einem den ganzen Tag auf engstem Raum nur Ablehnung entgegen schlägt, das geht nicht so spurlos an einem vorbei. Der Wille, nicht aufzugeben, war aber größer. Wenn man keinen Humor besitzt, sollte man sich so eine Sendung auch nicht ansehen. Mir und Marc wurde übel genommen, dass wir pro Klaus waren. Denn der hatte auch viele Gegner, aber ich wechsle deshalb ja nicht das Lager, ich habe schließlich einen Standpunkt.

OA: Kurz vor dem Finale kamen noch einmal die alten Kandidaten ins Haus. Wie war das für Sie?

Waldvogel: Am Ende kamen die noch einmal rein, die gegen mich verloren hatte. Das war schlichtweg die Hölle. Ich denke auch, das ist gewollt gewesen.

OA: Haben Sie noch Kontakt zu den anderen Bewohnern?

Waldvogel: Mit Marc und Klaus habe ich schon lange telefoniert und der Kontakt wird auch noch weiter bestehen. Trotz Altersunterschied waren wir uns sympathisch, die Grundlinie stimmte einfach.

OA: Wie geht Ihr Leben jetzt weiter?

Waldvogel: Für mich ist Big Brother und das ganze Drumherum vorbei. Mitte September fangen meine Malkurse bei der Volkshochschule des Oberbergischen Kreises in Lindlar, Engelskirchen, Marienheide und Hückeswagen wieder an. Da freue ich mich sehr drauf. Ich habe ein bestimmtes Malverfahren entwickelt, das nennt sich „Schwimmende Leinwände“, das vermittele ich in den Kursen. Meiner Meinung nach, kann jeder malen, der malen möchte, auch ohne Vorkenntnisse. Ich erwarte jetzt keine große Karriere und bin froh, wieder da zu sein, wo ich hingehöre. Letztendlich habe ich ja nichts geleistet, ich war ja nur da. 
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