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Wenn Sepp Maier plötzlich simst

bv; 8. Aug 2017, 15:45 Uhr
Bilder: Bernd Vorländer (1), privat (2).
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Wenn Sepp Maier plötzlich simst

bv; 8. Aug 2017, 15:45 Uhr
Gummersbach – „Hansi“ Schmidt, früherer Welt-Handballer und leidenschaftlicher Pädagoge, pflegt viele Freundschaften und ist auch nach seiner Karriere bewusst der Region treu geblieben.
Von Bernd Vorländer

Hans-Günther Schmidt nippt an seinem Cappucino und lächelt. Die SMS, die er gerade erhalten hat, lässt ihn schmunzeln. „Sie ist von einem guten Freund“, erklärt er vielsagend. Es ist nicht irgendein Freund, es ist Sepp Maier, Kult-Torhüter des FC Bayern München und der Nationalmannschaft, mit dem Schmidt eine langjährige Freundschaft verbindet. Regelmäßig schreibt man sich, telefoniert, kommt ab und zu zusammen. Und was für Maier gilt, trifft auch für weitere prominente und weniger prominente Zeitgenossen zu. Schmidt, den alle seit seiner Zeit beim VfL Gummersbach nur liebevoll „Hansi“ nennen, ist den Menschen zugewandt. Das Leben ist für ihn eine große Kommunikations-Bühne und er mag es, zu fachsimpeln, sich auseinanderzusetzen, zuzuhören und auch zu streiten. Aber – und das betont er stets – immer mit Respekt. Ein Wort, dessen Bedeutung er hoch einschätzt. Er wisse, dass er zeitweilig eine sehr eigene Meinung vertrete, die sperrig sei und manchen erzürne. An der aktuellen Politik etwa kritisiert er viel. Aber dennoch gehe er respektvoll mit jedem um, der sich ebenfalls eine eigene, auch andere Meinung leiste. „Ich halte es da mit dem französischen Philosophen Voltaire, der gesagt hat, dass er die Meinung des anderen nicht teile, aber alles dafür geben werde, dass sein Gegenüber sie äußern darf.“


[Mit Hansi Schmidt holte der VfL Gummersbach sieben deutsche Meisterschaften.]

Schmidt gesteht, dass er im Alter nachdenklicher geworden ist, manches anders als früher sieht. Der Morgen beginnt für ihn mit einer einstündigen Gymnastik, da ist er immer noch Sportler. Und klar strukturiert ist auch heute noch sein Tagesablauf. Diese Wesenseigenschaft begleitet ihn seit seiner Jugend. Schon früh wusste der als Sohn eines Banater Schwaben geborene Rumäne, dass er in seiner alten Heimat nicht leben wollte. „Ich wollte frei sein und meine Meinung äußern dürfen.“ Die Flucht war schon in frühester Jugend ein Thema, das ihn nicht mehr losließ. Und der Handball sollte ihm dafür die Chance bieten. „Ich habe so viel trainiert, weil ich damit in die Auswahlmannschaften und so ins Ausland kam“, sagt er rückblickend. Im November 1963 nutzt er als 21-Jähriger die Gelegenheit und setzt sich nach einem Spiel der Juniorennationalmannschaft in Deutschland ab. Niemand in der Familie wusste zuvor davon und erst 1975 konnte er Eltern und Schwester wieder in die Arme schließen.


Erst verschlug es ihn jedenfalls nach Hamburg und dort erreichte ihn ein Anruf aus Gummersbach. „Ich weiß bis heute nicht, wie die an meine Telefonnummer gekommen sind.“ Jedenfalls setzte sich Schmidt in den Zug – und in Hagen erwartete ihn VfL-Vaterfigur Eugen Haas am Bahnhof. Der Beginn einer leidenschaftlichen, manchmal auch schwierigen Beziehung. Jedenfalls wurde Schmidt in Haas‘ Familie wie ein Sohn aufgenommen und startete die Handballer-Karriere, die dem VfL Weltruhm einbrachte und Schmidt eine ungeheure Popularität brachte. Sechsmal hintereinander war er Torschützenkönig der Bundesliga, half sieben Meistertitel nach Gummersbach zu holen. „Handball hat mir sehr viel gegeben, aber auch einiges genommen“, sagt Schmidt heute. Er habe durch den Handball viel soziale Kompetenz erhalten, sei dankbar gewesen vor tausenden Zuschauern zu spielen und habe gelernt, den Gegenspieler zu respektieren.

Andererseits sei vieles zu kurz gekommen. „Ich war kein guter Vater“, bedauert es Schmidt heute, zu wenig Zeit für seine beiden Söhne gehabt zu haben. Erst mit 33 Jahren sei er selbst erwachsen geworden und habe fortan mit dem großen Handball abgeschlossen. Es habe Angebote gegeben, aber er wollte unbedingt im Oberbergischen bleiben, weil er hier Heimat verspürte. Andererseits sei er auch nicht so tief in manche Gepflogenheiten eingebunden gewesen und nicht in Vereine eingetreten. „Ich habe mir aus Orden nichts gemacht.“


[Hansi Schmidt war berühmt und gefürchtet ob seiner verzögerten Sprungwürfe.]

Wichtig war für ihn die berufliche Zeit als Pädagoge, die offenbar abgefärbt hat, denn auch seine beiden Söhne haben diesen Beruf ergriffen. Bildung ist ihm wichtig, für Schule kann er sich auch heute, elf Jahre nach seiner Pensionierung, begeistern. Aber er hält sich auch hier mit Kritik nicht zurück. Viel zu oft gehe es in den Schulen von heute um reine Wissensvermittlung. „Dabei brauchen wir Herzensbildung und gute Erziehung“, so Schmidt. Von beidem gebe es zu wenig für die Heranwachsenden, hat er festgestellt.

Wenn man mit Hansi Schmidt zusammensitzt, kommt man ins Plaudern. Hellwach ist er immer noch. So zielgenau früher seine verzögerten Sprungwürfe den Weg ins Tor fanden, so leidenschaftlich und dennoch dem Gesprächspartner zugewandt debattiert er heute. In wenigen Wochen wird Schmidt 75 Jahre alt. Ein Tag, den er im kleinen Kreis feiert. Wichtiger ist ihm die Goldene Hochzeit mit seiner Frau Karin im kommenden Jahr. „Ich bin ein Mann mit vielen Ecken und Kanten, sie hatte es nicht immer leicht mit mir. Aber Hansi Schmidt konnte nichts Besseres als diese Frau passieren“, lächelt der 98-fache deutsche Nationalspieler. Auch beim Kennenlernen war Schmidt absolut strukturiert. Er habe unbedingt ein Mädchen aus der Region treffen wollen, um sich schneller integrieren zu können. Den Tag, als er seine Frau erstmals sah, hat er sofort parat. Es war der 19. Juli 1964. Exakt zwei Jahre später verlobte man sich, und am 19. Juli 1968 wurde geheiratet. Hans-Günther Schmidt lächelt und seine Gesichtszüge verströmen eine gewisse Melancholie bei diesen Erinnerungen.
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