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Craft Beer: Neue Potentiale für den Gerstensaft

fj; 27. Jul 2016, 11:20 Uhr
Bilder: Fenja Jansen/Francesco Giacomelli (Text) --- Julian Baum aus Bergneustadt hat in diesem Jahr seine Ausbildung zum Brauer und Mälzer absolviert. Gelernt hat er in einer kleinen Craft-Beer-Brauerei.
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Craft Beer: Neue Potentiale für den Gerstensaft

fj; 27. Jul 2016, 11:20 Uhr
Bergneustadt - In Kölns kleinster Brauerei steht mit Julian Baum ein Bergneustädter am Braukessel - Oberberg-Aktuell sprach mit dem jungen Brauer über Biertrends, die neue Lust am Craft Beer und das Deutsche Reinheitsgebot.
Von Fenja Jansen

Woanders ist es nur ein Knopfdruck: Startet das Automatische Brauprogramm, öffnet sich ein Ventil am Silo und das darin gelagerte Malz läuft in die Braupfanne. Julian Baum befördert die 190 Kilogramm Malz, die er für 1.000 Liter Weizenbier braucht, per Muskelkraft in die Braupfanne. Sack um Sack leert er über dem Braukessel. Die Helios Braustelle in Köln-Ehrenfeld ist die kleinste Brauerei der Domstadt, hier läuft wenig automatisch. „Dafür ist man aber ganz nah dran am Produkt und lernt das Handwerk Brauen von der Pieke auf“, erklärt Baum, warum er seine Ausbildung bei Braustellen-Inhaber und Diplom-Braumeister Peter Esser absolviert hat.


[Die Bierherstellung ist in der Braustelle vor allem eins: Handarbeit.]
  
Auch die Biervielfalt in der Braustelle war ein Argument für ihn. Neben den vier Standardsorten gibt es wechselnd weitere vier Sorten vom Hahn sowie eine Auswahl an Flaschenbieren. Alle paar Wochen findet sich eine neue Sorte auf der Angebotskarte, die Rezepte schreibt Esser selbst. Experimentieren, auch mit Früchten, Kräutern, Gewürzen oder Kaffee, wird hier großgeschrieben. Auch Baum hat vor dem Ende seiner Ausbildung ein eigenes Bier entworfen. Sein Summer-Ale, ein leichtes Bier mit Simcoe-Hopfen mit einer Fruchtnote nach Mango und Passionsfrucht, kommt in den nächsten Wochen an den Hahn. Mit diesen Angeboten ist die Braustelle Teil der Craft-Beer-Szene (von craft: das Handwerk), die in den 1980er Jahren in Amerika entstand und längst auch Europa erreicht hat.

„Amerikanische Biere hatten früher im In- und Ausland einen schlechten Ruf als wässrige Einheitsbrühe. Darum haben es sich amerikanische Hobbybrauer zum Ziel gemacht, selber geschmackvollere Sorten herzustellen“, erklärt Baum. Aus diesen „Hobbyküchen“ wurden die ersten kleinen Craft-Beer-Brauereien, deren Produkte nicht nur in den USA auf zunehmende Beliebtheit stießen. Etwa im Jahr 2010 erreichte der Trend Europa und damit ging es auch für die 2001 eröffnete Braustelle steil nach oben.


Der Craft-Beer-Trend hat aber nicht nur in Kölns kleinster Brauerei für eine Umsatzsteigerung gesorgt. „Dank ihm hat Bier heute einen ganz anderen Stellenwert“, findet Baum. Bierseminare und –verkostungen werden beliebter, immer mehr Läden bieten ein größeres Sortiment, auch mit internationalen Sorten und Marken an. „Das Thema Geschmack tritt in den Vordergrund. Bier wird nicht mehr nur als Durstlöscher für den Feierabend gesehen“, freut sich Baum, dass Liebhaber heute genauso über Bier diskutieren, wie noch vor ein paar Jahren nur über Wein gesprochen wurde.


[Die Braustelle ist Brauerei, Restaurant und Kneipe in einem. Was um die Ecke im Sudhaus gebraut wird, wird an der Theke gezapft.]
  
Unter diesen Bierliebhabern wird in Deutschland besonders ein Thema kontrovers diskutiert: das deutsche Reinheitsgebot. In diesem Jahr feiert das erste deutsche Lebensmittelgesetz seinen 500. Geburtstag. Und nach fünf Jahrhunderten, findet Baum, ist es höchste Zeit für eine Modifizierung des Gebots. „Sonst gerät die Biernation Deutschland insbesondere im Craft-Beer-Bereich noch weiter ins Hintertreffen. In den USA, Großbritannien und Belgien hat man uns hier eh schon einiges voraus“, befürchtet der junge Brauergeselle.

Denn was in Deutschland nicht alleine aus Gersten, Wasser und Hopfen gebraut wird, darf sich nicht Bier nennen. Künstliche Aromen, Farbstoffe, Stabilisatoren oder Emulgatoren haben auch seiner Meinung nach nichts in einem Bier zu suchen. Das Reinheitsgebot verbietet aber auch natürliche Zutaten wie Pfeffer und Gewürze, Früchte, Honig und Kräuter. Und mit eben diesen wird in der Craft-Beer-Szene experimentiert.


[Klangvolle Namen wie Pink Panther, Schwarze Sieben oder Black Out finden sich im Angebot. Auch ein Alt mitten in Köln zu brauen lässt sich die Braustelle nicht nehmen.]

Dabei heraus kam beispielsweise die Braustellen-Marke Pink Panther. Einem Bier mit Weizenanteil werden natürliche Hibiskusblüten hinzugegeben, die wie bei einem Tee im Biersud ziehen und ihm eine fruchtigen Geschmack und pinke Farbe verleihen. 2015 wurde Esser für diese Kreation mit dem Craft Beer Award in Silber ausgezeichnet, erst kürzlich gestattete die Lebensmittelbehörde aber, dass Pink Panther auch als „besonderes Bier“ und nicht nur als „Brauspezialität“ bezeichnet werden darf. „Ich weiß von anderen kleinen Brauereien, die ganze Produktionslinien einstellen mussten, weil sie ihr Bier mit Kaffeebohnen verfeinert haben“, erzählt Baum.

Dass die deutschen Biertrinker experimentierfreudiger geworden sind, haben auch die großen Brauereien längst mitbekommen. So haben Bitburger oder Köstritzer eigene Craft-Beer-Reihen herausgebracht und auch andere Brauereien haben ihr Portfolio in den vergangenen Monaten erweitert. „Mit fruchtigen Hopfennoten wird jetzt auch gerne in den größeren Brauereien gebraut. Der neuste Trend in der Szene ist es, Biere wieder in Holzfässern zu lagern. So bekommen sie eine holzige Rauchnote oder aber eine Wein- oder Whiskynote, je nachdem was vorher im Fass gelagert wurde“, verrät Baum, worauf sich Bierfreunde freuen dürfen.
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