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Kreativität kennt kein Handicap

rpf; 17. Apr 2018, 07:00 Uhr
Bild: Raphael Peyser-Fränzel.
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Kreativität kennt kein Handicap

rpf; 17. Apr 2018, 07:00 Uhr
Gummersbach - Sabrina Schultheis veranstaltet Theaterkurse für behinderte Menschen und zeigt: Darstellende Kunst kennt keine geistigen und körperlichen Einschränkungen!
Von Raphael Peyser-Fränzel

„Im Theater ist alles möglich. An einem Tag bist du ein Superheld an einem anderen Tag ein Mordopfer“, gibt Sabrina Schultheis ihre Faszination für das Theater zum Ausdruck. Die Möglichkeit, sich im Theater kreativ auszulassen und in fremde Welten einzutauchen, nimmt sie als ein Privileg wahr, das andere Menschen, die sich solchen fantasievollen Schaffensprozessen nicht hingeben, in dieser Form nicht haben. Schultheis arbeitet hauptberuflich als Förderlehrerin an der Helen-Keller-Schule in Wiehl-Oberbantenberg und gibt neben ihrer pädagogischen Vollzeitbeschäftigung als Schauspieldozentin Theaterkurse für Menschen mit und ohne Behinderung.

Die junge Frau strahlt über das ganze Gesicht, wenn sie von ihrer Arbeit erzählt: „Ich liebe, was ich tue“, antwortet sie auf die Frage, woher sie die Energie für ihre vielen nebenberuflichen Projekte nimmt. Zu Begeisterungsstürmen reißen sie vor allem ihre Schauspieler hin, die sie regelmäßig mit ihren kreativen Geistesblitzen verblüffen. „Auf was für Ideen die kommen“, stellt sie erstaunt fest. So schlugen ihre inklusive Jugendtheatergruppe der Kulturwerkstatt 32 für einen Theaterwettbewerb tagespolitische Themen wie die Debatte über die amerikanischen Waffengesetzte und die aktuelle me-too-Affäre vor. „Jugendliche in ihrem Alter interessieren sich sonst für Stars Wars, Vampire und Romanzen“, betont sie mit Nachdruck.

Einen besonderen Schwerpunkt bildet bei ihrer Arbeit mit behinderten Menschen in der Förderschule und im Theater die unterstützende Kommunikation. Menschen, die nicht reden können, bietet sie die Möglichkeit, sich mit Hilfe eines computergestützten Talkers mit ihrem Umfeld zu verständigen. Ein solches Kommunikationsgerät benutzte beispielsweise auch der kürzlich verstorbene Physiker Stephen Hawking. In diesem Sinne ist es ihr besonders wichtig zu zeigen, dass alle Menschen etwas zu sagen haben. Das schließt auch Menschen nicht aus, die von Geburt an nicht in der Lage sind, mündlich zu kommunizieren. Auch solchen Menschen möchte Schultheis eine Stimme geben und unterstreicht damit, dass jeder Mensch in ihren Augen wichtig und wertvoll ist. Ebenfalls ist ihr die Unterstützung der Eigenständigkeit von Behinderten ein besonderes Anliegen.


„Der Tagesablauf von behinderten Menschen ist oft von Angehörigen und Pflegern gelenkt auf dessen Hilfe sie angewiesen sind“, erklärt sie. Aus diesem Grund ist es ihrer Erfahrung nach für behinderte Menschen von grundlegender Bedeutung, dass sie sich und ihrem Umfeld zeigen können, dass sie auch selbst imstande sind, etwas zu schaffen. In ihrer Theaterarbeit bietet sie den meist jungen Leuten auf der Theaterbühne hierfür den idealen Raum zur Selbsterfahrung. Insgesamt leitet sie aktuell fünf Theaterkurse, davon zwei für behinderte Menschen. Als wäre das nicht schon genug, engagiert sie sich auch noch ehrenamtlich für den Erhalt des Gummersbacher Theaters: „Es sieht gut aus“, resümiert sie diesbezüglich die jüngsten Entwicklungen. Nachdem Gummersbachs Bürgermeister Frank Helmenstein sich vor den Osterferien mit der NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen für ein Gespräch zusammengesetzt hat, um ihr die derzeitige Sachlage zu erörtern, glaubt Schultheis, dass es doch noch möglich ist, das Theater zu erhalten.

Zu ihrer Tätigkeit als Schauspieldozentin kam Schultheis damals hingegen nicht durch Eigeninitiative, sondern durch Zufall. Ein Regisseur trat 2012 kurz vor der Premiere des Theaterstücks „Woyzeck“ im Bruno-Goller-Haus zurück, woraufhin sie kurzerhand seine Position übernahm. Innerhalb von ein paar Wochen schmiss sie dann die gesamte Inszenierung um und änderte das Theaterstück ihren eigenen Vorstellungen entsprechend ab.  „Ich hoffe, die Schauspieler sind deswegen nicht heute noch wütend auf mich“, sagt sie mit einem Lächeln. In der folgenden Zeit übernahm sie dann weitere Schauspielkurse im Gummersbacher Bruno-Goller Haus und in der Halle 32. Autodidaktisch arbeitete sie sich in die Aufgabenbereiche einer Regisseurin ein, bis sie dann von 2012 bis 2015 nebenberuflich am Off-Theater Neuss eine Ausbildung zur Theaterpädagogin absolvierte.

Ihre Begeisterung für künstlerische Aktivitäten und kulturelle Bildung weckte schon früh ihre Pflegefamilie, in der sie aufwuchs. So geht die Familie seit jeher regelmäßig zusammen in die Oper. Für eine umfassende Bildung sorgt indes die hauseigene Bibliothek des Vaters mit circa 50.000 Buchexemplaren. Darüber hinaus ist das Haus der Familie mit zahlreichen Bildern der Großmutter, einer österreichischen Künstlerin, geschmückt.

„Sie haben mich immer unterstützt“, zeigt sich Schultheis dankbar. Die Zieheltern fuhren sie stets zum Schauspiel- und Musikunterricht und zahlten die Kursgebühren, ohne ihren kreativen Tatendrang zu irgendeiner Zeit in Frage zu stellen. Neben der kreativen Förderung der Eltern ist sie auch ihrem Freundeskreis dankbar dafür, dass er Verständnis dafür aufbringt, dass sie aufgrund ihrer vielfältigen Theaterprojekte wenig Zeit für ihre Freunde hat. Diese begeistern sich auch noch nach Jahren für das kulturelle Engagement ihrer Freundin. Einen Vorteil den Schultheis bei ihren Freunden hervorhebt ist die angemessene Kritik, die ihr Bekanntenkreis ausübt. Sie bewerten ihr kreatives Schaffen nicht vorbehaltlos positiv, sondern benennen auch konkret, wenn sie etwas nicht so gut finden. Diese Form der Ehrlichkeit empfindet die Künstlerin als sehr förderlich.

Neben ihrer Tätigkeit als Förderschullehrerin und Theaterpädagogin zeigt sich ihre soziale Ader ebenfalls in ihrer Liebe zu Tieren. So beherbergt sie einen mexikanischen Schwanzlurch, einen sogenannten Axolotl, in ihrem Aquarium. Früher verstand sie die Begeisterung von Menschen für Aquarien nicht, bis sie selbst eins bekam. Ihr Haustier, das sie auf den Namen Rainer (Bild) taufte, ist optisch ein echter Hingucker. Mit seinen schwarzen Knopfaugen, der feuerroten Mähne, und der langen Rückenflosse sieht der vierbeinige Genosse aus wie ein kleiner Hausdrache. Sie beteuert, dass sie Reiner lieb hat, auch wenn er ständig gegen den gleichen Baum im Aquarium schwimmt, weil er größtenteils blind ist.

Verständnis für Benachteiligte zeigte sie zudem in einer Rettungsaktion für ein vereinsamtes Kuscheltier. Das Plüschnilpferd „Herbert“ rettete sie damals aus einer Mülltonne vor der drohenden Deponie. Sie wusch das verdreckte Stofftier und gab ihm ein neues Zuhause auf ihrem heimischen Sofa. „Ich nehme mich selbst nicht so ernst“, beteuert Schultheis lächelnd, „mein inneres Kind habe ich mir bewahrt“. Dass ihr das in ihrer kreativen Arbeit mit jungen Menschen einen Vorteil bietet, lässt sich stark annehmen.

Menschen, die daran denken inklusive Theaterarbeit mit Jugendlichen zu machen, gibt sie den Tipp: „Tut es!“. Viele haben oft Einwände und Angst davor, eine Gruppe mit Behinderten zu leiten, erklärt sie. Diese Menschen möchte sie ermutigen ihre eigenen Vorbehalte hinter sich zu lassen und die Arbeit zu beginnen. Auch ihr Anfang als Regisseurin war damals ein Sprung ins kalte Wasser und heute kann sie sich vor Arbeit nicht mehr retten. In Zukunft will sie ihr hohes Arbeitspensum beibehalten, aber nicht noch mehr Theaterkurse geben: „Ich will noch Spaß haben an dem was ich tue“ stellt sie klar. Mit der täglichen Arbeit an einer Förderschule und der Leitung von fünf Theaterkursen in der Woche, kann man ihr auch sicherlich keinen mangelnden Arbeitseifer vorwerfen.
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