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'In der Vergangenheit wurden Fehler begangen'

bv; 23. Jan 2019, 16:13 Uhr
Bilder: Bernd Vorländer.
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'In der Vergangenheit wurden Fehler begangen'

bv; 23. Jan 2019, 16:13 Uhr
Gummersbach – VfL-Geschäftsführer Christoph Schindler über die schwierige finanzielle Situation, die Trainer-Diskussion und die sportlichen Perspektiven des Bundesligisten.
Von Bernd Vorländer


OA: Die deutsche Nationalmannschaft eilt von Erfolg zu Erfolg, die Euphorie im Land ist groß: Schauen Sie die Spiele eigentlich als Spieler, als Fan oder als Vereinsvertreter?
Schindler: Ich war viel zu lange Spieler, als dass ich nicht auf alle Feinheiten gucken würde und genau weiß, wie die Jungs die unglaubliche Atmosphäre in den Hallen derzeit genießen. Aber ich bin natürlich auch Vertreter des VfL Gummersbach und hoffe, dass wir von dem derzeitigen Hype auch profitieren. Deshalb haben wir unsere Neuausrichtung, die wir mit dem Leitmotiv ‚Heimat des Handballs‘ zusammenfassen, ganz bewusst Ende vergangenen Jahres präsentiert. Wir wollen jünger und moderner werden.


OA: Aber die aktuelle sportliche Situation passt doch gar nicht zu dem Optimismus, der damals von Vereinsseite zur Schau gestellt wurde?
Schindler: Natürlich wollen und müssen wir besser werden, das ist doch keine Frage. Aber sportliche Weiterentwicklung gelingt nur, wenn wir finanziell gesunden. Und gerade in diesem Bereich wurden in der Vergangenheit viele Fehler begangen. Ich will es ganz deutlich sagen: Der aktuelle Tabellenplatz in der Bundesliga entspricht genau unseren finanziellen Möglichkeiten. Daraus kann man theoretisch zwei Konsequenzen ableiten: Kämpfen oder den Kopf in den Sand stecken. Ich bevorzuge das Kämpfen.

OA: Aber es ist doch offensichtlich, dass der aktuelle Spielerkader auch aufgrund von Verletzungen arg geschwächt ist. Sind Sie nicht zum Handeln gezwungen?
Schindler: Der Kader war schon vor der Saison auf Kante genäht und jetzt wird es immer enger. Sie haben die Verletzungen angesprochen. Ich wehre mich ja nicht gegen neue Spieler. Aber nochmal: Wir verfügen nicht über die finanziellen Möglichkeiten, um nachverpflichten zu können.

OA: So mussten diese Saison Spieler eingesetzt werden, die nach Verletzungspausen eher Rekonvaleszenten denn Verstärkungen waren. Ist so etwas nicht grenzwertig? Sie haben doch auch eine Obhutspflicht?
Schindler: Das Risiko, das wir derzeit in der Mannschaft eingehen müssen, ist extrem und eigentlich zu hoch. Aber wir können gar nicht anders und müssen deshalb so eng zusammenrücken, wie nur möglich. Und dazu zähle ich nicht nur Spieler und Geschäftsführung, sondern auch Fans und Sponsoren. Wir sind auf jede Hilfe angewiesen.

OA: Es gibt Stimmen, die die sportliche Erfolglosigkeit mit nur acht Punkten nach 19 Spielen am Trainer festmachen?
Schindler: Natürlich verstehe ich in unserer sportlichen Lage, dass auch über den Trainer diskutiert wird. Aber ich sehe, wie gut er im Training arbeitet, und ich weiß, dass er nichts für die Verletzten kann und auch nicht zu verantworten hat, wenn arrivierte Spieler ihre Leistung nicht abrufen. Und eines darf man nicht vergessen. Denis Bahtijarevic ist wohl der einzige Bundesliga-Coach, der ohne Co-Trainer auskommen muss. Das ist ein großer Nachteil, denn während eines Spiels gibt es so viel zu tun, dass das für einen allein kaum machbar ist. Leider lässt sich das im Moment nicht ändern.  

OA: Sie werden also am Trainer festhalten?
Schindler: Ich werde mich in meiner Meinung über ihn und seine Arbeit jedenfalls nicht durch Stimmen und Stimmungen von außen beeinflussen lassen.




OA: Wie sieht es denn mit Neuzugängen aus? In diesen Wochen werden doch die Weichen für die kommende Saison gestellt?
Schindler: Wir führen viele Gespräche und benötigen nach den feststehenden Abgängen von Carsten Lichtlein und Moritz Preuss weiter einen Mix aus erfahrenen und jungen Spielern. Aber Verstärkungen wollen eben auch wissen, wohin die Reise sportlich  geht, ob man in der Ersten oder Zweiten Liga spielt. Wir sind zwar überzeugt, dass wir die Klasse halten, aber zusichern können wir das derzeit nicht.

OA: Der VfL Gummersbach will aus der Not eine Tugend machen und künftig stärker auf den eigenen Nachwuchs setzen. Wird das auch weiterhin gelten?
Schindler: Da kann sich jeder drauf verlassen. Schon in dieser Saison wurden einige Spieler, die noch in Jugendteams aktiv sind oder die Akademie gerade verlassen haben, in der Bundesliga eingesetzt. Wir werden das weiter forcieren. Was mich allerdings ärgert, ist, dass unsere Investitionen in die Akademie so wenig von der Handball-Bundesliga anerkannt werden. Man verweigert uns den Stern zum Jugendzertifikat, weil uns eine einzige Trainerlizenz fehlt. Gleichzeitig wird aber akzeptiert, dass andere Vereine externe Firmen damit beauftragen, eine entsprechende Auszeichnung sicherzustellen. Das macht mich wütend.

OA: Mal ehrlich: Haben Sie sich nicht schon einige Male gefragt, warum Sie sich das alles antun?
Schindler: Ich wusste vorher, dass es keine einfache Zeit werden würde. Aber ich sage es mit voller Überzeugung: Die Fans des VfL und die treuen Sponsoren machen diesen Verein zu etwas Besonderem. Für mich ist das eine Herzensangelegenheit. Deshalb werde ich auch ehrlich bleiben und keine Wolkenkuckucksheime versprechen. Wir arbeiten 24 Stunden am Tag dafür, dass es in den nächsten Jahren besser wird. Glauben sie mir: Ich würde derzeit auch lieber in den WM-Hallen mit Spielern sprechen und sie nach Gummersbach lotsen. Aber das wäre komplett unrealistisch.
  
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