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Historisches Aus: Unerwartet, aber völlig verdient

lo,nh; 28. Jun 2018, 13:30 Uhr
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Historisches Aus: Unerwartet, aber völlig verdient

lo,nh; 28. Jun 2018, 13:30 Uhr
Oberberg - Die Deutsche Nationalmannschaft muss bei der Fußball-WM die Koffer packen - OA sprach mit einigen Fußballtrainern aus der Region über das desaströse Abschneiden des Weltmeisters.
Blamage. Desaster. Untergang. Der amtierende Weltmeister fährt nach Hause. Gary Linekers berühmter Spruch „Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen die Deutschen“ wandert in die Mottenkiste. Das historische Vorrundenaus der deutschen Nationalmannschaft bei der WM in Russland hat die Fans in eine kollektive Schockstarre gestürzt. Nun geht es darum, nach den Ursachen für den Absturz zu forschen. Warum gelang es der Löw-Truppe nicht, sich in der Gruppe mit Mexiko (15. der FIFA-Weltrangliste), Schweden (24.) und Südkorea (57.) durchzusetzen?


[Jan Kordt.]

Auch die Fußballtrainer aus der Region sind am „Tag danach“ konsterniert. „Das habe ich nicht erwartet“, erklärt Jan Kordt, Coach des Landesligisten FV Wiehl. „Nach dem Sieg gegen Schweden dachte ich, dass wir uns irgendwie durchwurschteln, aber letztlich muss man sagen, dass ganz viel nicht zusammengepasst hat. Die Zahl der individuellen Fehler war noch nie so hoch.“ Die Mannschaft habe von der ersten Minute an ohne Selbstvertrauen agiert. „Vor allen Dingen von den Führungsspielern kam zu wenig“, meint Kordt.

An einzelnen Akteuren oder dem Trainerteam würde er das enttäuschende Abschneiden nicht festmachen, „wobei ich mich frage, warum man sich dazu entschieden hat, gegen Südkorea wieder auf Khedira und Özil zurückzugreifen? Hat Khedira gestern überhaupt einen Zweikampf gewonnen?“ Kordt hatte den Eindruck, dass die deutschen Gegner spritziger und aggressiver waren. „Ob es an der Einstellung oder der Fitness haperte, kann ich nicht beurteilen“, so der Trainer, dessen Fazit lautet: „In dieser Gruppe Letzter zu werden, ist angesichts der Qualität, die auf dem Platz stand, peinlich.“


[Dennis Lüdenbach.]

„Nach den gezeigten Leistungen sind wir völlig zu Recht ausgeschieden. Die Mannschaft hat zu wenig Willen und Einsatzbereitschaft gezeigt. Außerdem ist es ihr nicht gelungen, spielerische Lösungen gegen fußballerisch schwächere und defensive Gegner zu finden und sich Torchancen zu erarbeiten“, sagt Dennis Lüdenbach vom SV Frielingsdorf. Wurde die Formkrise, die die Mannschaft nach der erfolgreichen WM-Qualifikation ergriff, unterschätzt? „Möglich“, so Lüdenbach. „Auf jeden Fall hat man es nicht geschafft, den Schalter rechtzeitig zur WM umzulegen.“   

Lüdenbach rechnet damit, dass Joachim Löw seinen Hut nehmen wird. Begrüßen würde er einen solchen Schritt nicht. „Sicherlich hat er die eine oder andere unglückliche Entscheidung getroffen, aber man darf auch nicht vergessen, was er in seiner Zeit erreicht hat und wie schlecht die Nationalmannschaft gespielt hat, bevor er Trainer wurde. Alles über den Haufen zu werfen, halte ich für falsch.“    


[Markus Hayer.]

Der ehemalige Profi und heutige Coach des VfR Marienhagen, Markus Hayer, hat derweil ein Mentalitätsproblem der deutschen Mannschaft erkannt: „Der letzte Zug und Wille hat gefehlt. Viele Weltmeister sind zu satt.“ Aus seiner Sicht müsste nun ein Umbruch eingeleitet werden. Dieser könne auch mit Löw stattfinden. Hayer könnte sich vorstellen, dass um Manuel Neuer und Toni Kroos ein neues Team aus jungen, aggressiven und athletischen Spielern aufgebaut werde.

Für Hansi Füting hätte dieser Schritt schon längst vollzogen werden müssen: „Löw hatte aber nicht den Arsch in der Hose, auf die Confed-Cup-Sieger zu setzen.“ Für den Trainer des TuS Lindlar sei es aus der Ferne allerdings schwer zu beurteilten, wo die Fehler gelegen haben. Spielern, wie beispielsweise Toni Kroos, dürfe man nicht böse sein. „Er musste nach dem Gewinn der Champions League quasi durchspielen“, kann er die Müdigkeit nachvollziehen.


[Hansi Füting.]

Ab jetzt habe man bis zur nächsten EM in zwei Jahren Zeit, um der Mannschaft mit „jungem Blut“ eine Frischzellenkur zu verpassen. „Sollte der DFB einen kompletten Schnitt vollziehen wollen, dann müssen Löw und Oliver Bierhoff gehen.“

Kein Freund von solchen Überlegungen ist Marienheides Trainer Marcel Wittfeld. Für ihn begannen die Probleme schon mit „einer schlechten WM-Vorbereitung“. Hinzu kamen fragwürdige Nominierungen, ein insgesamt „schwaches Defensivverhalten“, enorme „Tempoverschleppung“ und das Fehlen eines „klassischen Mittelstürmers wie Miroslav Klose“. Jetzt sei der optimale Zeitpunkt, um die richtigen Lehren aus dem Scheitern zu ziehen. Dazu gehöre auch, die Ausbildung bei den U-Nationalmannschaften und in den Nachwuchszentren der Bundesliga-Vereine zu hinterfragen.
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