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Die Kleinkunst des 19. Jahrhunderts lebt bis heute

ls; 10. Jan 2019, 16:30 Uhr
Bilder: Leif Schmittgen --- Peter Schauerte-Lüke ist begeistert von Papiertheatern.
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Die Kleinkunst des 19. Jahrhunderts lebt bis heute

ls; 10. Jan 2019, 16:30 Uhr
Wipperfürth – In Untermausbach betreibt Peter Schauerte-Lüke Papiertheater und erhält damit alte Traditionen aufrecht.
Von Leif Schmittgen

Das "Home-Entertainment" des frühen 19. Jahrhunderts lebt bis heute. Zumindest im beschaulichen Örtchen Untermausbach am Stadtrand von Wipperfürth. Hier lädt Peter Schauerte-Lüke immer sonntags zu einem besonderen Schauspiel ein, was im frühen 19. Jahrhundert Einzug in die bürgerlichen Haushalte hielt: das Papiertheater. Ein recht großes Exemplar davon ist im Haus seines Großvaters seit 2014 aufgebaut, wo er seitdem seine Stücke aufführt.   


[Hinter den Kulissen wirkt die Anordnung der Bühnenbilder recht unspektakulär, ...]


Dass Menschen in Massen Theater besuchen, war im 17. und 18. Jahrhundert keine Selbstverständlichkeit. „Viele hatten zu den Schauspielhäusern keinen Zutritt, sie kamen - wenn überhaupt - nur auf Einladung des Fürsten in den Genuss eines Theaterstücks oder einer Oper. Daraus ist dann Theater in den Wohnzimmern zur Unterhaltung der Bürgerschaft entstanden“, erzählt Schauerte-Lüke aus der Historie des Themas, das ihn in den frühen 1970er Jahren packte - und nicht mehr losließ.


Doch zunächst war das Interesse an der fast in Vergessenheit geratenen Kleinkunst für ihn rein kommerzieller Natur: Vor gut 40 Jahren war Schauerte-Lüke Inhaber eines Buchladens in Lübeck, durch Zufall traf er einen Enthusiasten aus Hamburg, der ihm eine Ausstellung in seinem Ladenlokal anbot. „Ich war dann für rund sechs Wochen umstellt von den Papierbühnen, die ich zum Verkauf anbot. Seitdem war ich von der Vielfalt gefesselt“, sagt der Kulturliebhaber. Die unterschiedlichen Bauansätze und Größen der Bühnen haben ihren Ursprung ebenfalls vor rund 200 Jahren, weiß Schauerte-Lüke. „Unabhängig voneinander entstanden in Deutschland und England die oft liebevoll aus Papierbögen gestalteten Wohnzimmertheater, vor denen sich die Familien in beiden Ländern versammelten."  
 
[ ... dem Zuschauer aber bietet sich ein dreidimensionales Bühnenbild.]

Aufgeführt werden die Stücke mit individuell gestalteten Bühnenbildern, die hintereinander angeordnet eine dreidimensionale Illusion beim Zuschauer erzeugen. Von vorne ergibt sich so ein eindrucksvolles Bühnenbild, das dank ausgefeilter Technik in Windeseile vom Bespieler gewechselt werden kann. Die Papierbilder hängen an über der Minibühne angebrachten Fäden, die der 66-Jährige - ungesehen vom Publikum - während der Vorstellung wechselt.   
 
[Mit Seilzügen sorgt Peter Schauerte-Lüke für reichlich Abwechslung und tolle Illusionen auf der Bühne.]

Die Konstruktion ist keineswegs die Erfindung des Wipperfürther Theaterspielers. Bilderbogen-Verlage gab es in fast jeder größeren Stadt. Unter anderem im brandenburgischen Neuruppin waren laut des Künstlers zur Hochzeit des Papiertheaters Firmen, die fertige Exemplare auf Bestellung auslieferten. Die Anwendung der Lithografie (Druck von Steinvorlagen) erlaubte die Produktion von hohen Stückzahlen zu bezahlbaren Preisen, zumindest für das Bürgertum. „Bis zu den Proletariern ist diese Unterhaltungsform nicht vorgedrungen“, so Schauerte-Lüke. Die Arbeiter waren diejenigen, die die Papierbögenbemalten und samt Bühnenbildern und Figuren an den Mann brachten.   

[Die Figuren werden oft liebevoll bemahlt.]  

„Allerdings war die Qualität der Produkte nicht die beste. Es gab vielerorts Nachahmer, die hochwertigere Papierbühnen herstellten." Die verlage "kupferten" voneinander ab. So verbreiteten sich die Kleinkunstbühnen in vielen Ländern Europas und wurden individuell weiterentwickelt. Es fand ein reger Ideentausch zwischen den Theaterbauern statt. „Copyright war damals ein Fremdwort“, sagt er lachend. Es entstanden viele unterschiedliche Modelle, die der gelernte Buchhändler nach historischer Vorlage nachbaut, ausstellt und verkauft. Zur Ideenfindung tauscht er sich, genau wie seine historischen Vorbilder auch, mit anderen Papiertheaterfreunden aus. In Deutschland gibt es aktuell noch etwa zehn Vertreter, schätzt Schauerte-Lüke.


[Märchen gehören auch zum Repertoire des Kleinkünstlers, ...]

Er selbst ist nicht Sammler, sondern Produzent, Verkäufer und eben Bespieler der vielfältigen Modelle. Während seiner Auftritte singt er, bewegt die Puppen und wechselt die Bühnenbilder allein. Außerdem hat er sich die Rechte eines belgischen Verlages am Kinderbuch „Ich bin der Stärkste im ganzen Land“ gesichert, zu dem er ein eigenes Theater entworfen hat.   

Dass auch Märchen im Repertoire stehen, hat ebenfalls historische Gründe. Schauerte-Lüke: „Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts verloren die Erwachsenen allmählich das Interesse an der Kleinkunst, da die Gesellschaft – auch wegen der Revolution 1848 und der Reichsgründung 1871 - mit anderen Dingen beschäftigt war." Zur Erziehung und der Weitergabe von Lebensweisheiten überlebten die Papiertheater aber in den Häusern, gespielt wurden meistens Märchen. 
 
[...für die er teilweise sogar eigene Papierbühnen entwickelt.]

Ab 1915 geriet das Papiertheater langsam in Vergessenheit, obwohl es in einigen Familien weiter gepflegt wurde. Der Bombenhagel des 2. Weltkriegs tat sein Übriges. Das große Interesse an bunten Farben und neuen, preiswerten Drucktechniken in den 1950er Jahren sorgte laut Schauerte-Lüke für eine Renaissance des Papiertheaters, die bis in die 1980er Jahre anhielt. Bei ihm selbst ist die Leidenschaft allerdings bis heute geblieben. Denn nicht nur in Wipperfürth können Zuschauer sonntags ins Staunen geraten, auf Festivals in der ganzen Welt war der pensionierte Buchhändler schon unterwegs und besucht Menschen mit einer mobilen Bühne auch zu Hause. „Dann allerdings gegen eine Gebühr“, sagt Schauerte-Lüke.   


[Die Seilkonstruktionen sind geschickt ausgeklügelte Systeme.]

Wer sich die Bühnen des Kleinkünstlers ansehen möchte, kann das im PORTAL by Volksbank im Gummersbacher Forum tun. Dort läuft derzeit eine Ausstellung, die mit einer Aufführung am 31. Januar beendet wird (OA berichtete).

Weitere Informationen zur Arbeit des Künstlers und Aufführungstermine gibt es hier.   
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