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Integration zwischen Chance und Herausforderung

us; 28. Apr 2018, 20:13 Uhr
Bilder: Ute Sommer --- Im Gespräch mit Moderator Rainer Schmidt (v.l.) legten die Sachkenner Hilko Redenius, Aiyleen Dardan, Diyar Agu und Kirsten Wallbaum ihre Sicht zur Integrationsfrage dar.
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Integration zwischen Chance und Herausforderung

us; 28. Apr 2018, 20:13 Uhr
Nümbrecht - Bei der öffentlichen Podiumsdiskussion, zu der die AG Nümbrecht von 'terre des hommes-Hilfe für Kinder in Not ' eingeladen hatte, äußerten sich Fachleute mit unterschiedlichen Blickwinkeln zum aktuellen Gesprächsgegenstand.

Integration ist seit fast drei Jahren eines der dominanten Inhalte des öffentlichen Diskurses und wird in einer sich stetig pluralisierenden Gesellschaft kontrovers erörtert. Unter welchen Umständen Integration gelingen kann, wo die Herausforderungen liegen und wie sich die Situation in Nümbrecht darstellt, dafür interessierten sich am Freitagabend derart viele Besucher, dass der Ratssaal bis auf den letzten Platz ausgefüllt war. "Wir möchten die Chancen benennen, aber die Schwierigkeiten nicht aussparen," unterstrich Anne Versaevel-Keller von "terre des hommes“, dass weder tumbe Stammtischparolen, noch rosarote Multikulti-Utopien einer differenzierten Betrachtung der komplexen Thematik gerecht würden.



[Bei der Tdh-Podiumsdiskussion war der Ratssaal der Gemeinde Nümbrecht bis auf den letzten Platz gefüllt.] 


Als Moderator führte der gebürtige Gaderother Pfarrer, Spitzensportler und Kabarettist Rainer Schmidt mit versierter Sachkunde und augenzwinkerndem Esprit durch den Abend. So tauschten auf dem Podium Diyar Agu, Student mit kurdischen Wurzeln und Linken-Bundestagskandidat 2017, Aiyleen Dardan, interkulturelle Trainerin und Autorin, Kirsten Wallbaum, didaktische Leiterin an der Gesamtschule Waldbröl, und der Nümbrechter Bürgermeister Hilko Redenius ihre Sichtweisen zur Integration aus. Die Flüchtlingskrise seit 2015 habe die Nümbrechter Verwaltung zunächst vor eine große Herausforderung gestellt, aber die Grundsatzentscheidung der dezentralen Unterbringung, das übergroße ehrenamtliche Engagement der Einheimischen und die gute Arbeit der Schulen seien wesentliche Faktoren für gelingende Integration gewesen.

"Klar gibt es Einzelne, die sich nicht anpassen wollen. Doch wir haben Glück gehabt mit unserem Personal, den Ehrenamtlichen und den flankierenden Maßnahmen", fasste der Rathauschef die Situation der Gemeinde, mit derzeit 125 Neu-Nümbrechtern, zusammen. Als geborene Iranerin, im Irak in einer assyrisch-christlichen Familie aufgewachsen und seit über 30 Jahren in Europa lebend, schilderte Dardan ihre gesammelten Wahrnehmungen und Erfahrungen. "Nicht da, wo man geboren wird, sondern, wo man gut behandelt wird, ist man zu Hause," machte sie deutlich, verschwieg aber auch nicht die persönlichen Irritationen beim anfänglichen Aufeinandertreffen von orientalischer und europäischer Prägung.


"Glauben Sie mir, es war nicht einfach", aber essentielle Voraussetzung für die Integration in ein fremdes Land sei die innere Bereitschaft und der Wille sich in die neuen Verhältnisse einzupassen, sich mit Werten und Regeln der neuen Umgebung zu identifizieren. "Versuche andere Denkmuster zu verstehen, aber hüte dich davor, für alles Verständnis aufzubringen", riet die Mittlerin zwischen den Kulturen dazu, unverhandelbare Grenzen auch als solche aufzuzeigen.


Aus ihrer Erfahrung im Schulalltag mit Kindern und Jugendlichen berichtete Lehrerin Wallbaum, dass funktionierende Integration von deren Alter und Sozialisation abhingen. "Je jünger Kinder sind, desto besser klappt die Eingliederung. Jugendliche und Teenager fühlen sich oft ausgeliefert, weil nicht sie den Entschluss zur Flucht gefasst haben." Kein Schüler dürfte zurückgelassen werden, doch ohne kooperative Elternhäuser würde jedes noch so gut gemeinte Integrationsmodell scheitern. Als Glücksfall für ihre Schule nannte sie ein heterogenes Kollegium und die Lösung, bei der aus der internationalen Klasse je zwei der Migrantenkinder die Heimatklassen besuchen und sich so eine Vertrauensbeziehung aufbauen kann. "Ich bin kein Einwanderer mehr, ich bin deutsch", betonte der 18-jährige Diyar Agu, dessen Großvater einst als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland kam.

Als einzige Ausgrenzungserfahrung, die er je habe erleben müssen, benannte er die pessimistische Prognose des Direktors beim Übergang auf die weiterführende Schule. Faktoren für gelingende Integration seien für ihn eine gute häusliche Erziehung, Bildung, das gesellschaftliche Umfeld und der Wille von Geflüchteten und Einheimischen, aufeinander zuzugehen. Allerdings lasse der Staat die Gesellschaft mit dieser Aufgabe allein, zudem schüre die Ausgrenzungspolitik rechter Parteien Angst und Ablehnung. "Mich freut es eine Erfolgsgeschichte nach der anderen zu hören", fasste Rainer Schmidt die persönlichen Darstellungen zusammen, doch Aiyleen 'Dardan warnte davor, die Debatte zu "romantisch" und "realitätsfern" zu führen.

Angesichts eines Ausländeranteils an den Gefängnisinsassen von 60 Prozent sei Schönrederei nicht angebracht und löse keine Probleme. Zum Applaus aus dem Publikum konstatierte sie: "Wir haben versäumt, die Eltern und Mütter zu integrieren, müssen ihnen unsere Werte im Ethik-und Geschichtsunterricht vermitteln, ihnen den Stellenwert unserer Demokratie klar machen". Im Anschluss an die Podiumsdiskussion eröffnete Bürgermeister Redenius die „terre des hommes“-Ausstellung "Kinder auf der Flucht", die im Rathausfoyer zu sehen ist.  

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