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"Die AggerEnergie hat wirklich kein einziges Argument, den Kunden jetzt den Schwarzen Peter zuzuschieben"

bv; 11. Apr 2009, 21:02 Uhr
Oberberg Aktuell
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"Die AggerEnergie hat wirklich kein einziges Argument, den Kunden jetzt den Schwarzen Peter zuzuschieben"

bv; 11. Apr 2009, 21:02 Uhr
(bv/10.4.2009-20:50) Von Bernd Vorländer
Oberberg - Rechtsanwalt Ole Jürges, der schon zahlreiche Mandanten in Rückforderungs-Ansprüchen gegen den oberbergischen Energieversorger vertritt, sieht im Interview mit Oberberg-Aktuell eine Abschreckungsstrategie bei der AggerEnergie und gute Chancen für den Klageweg - Er empfiehlt: Kunden sollten bei künftigen Nachforderungen diese nicht zahlen.
OA: Viele Kunden der AggerEnergie sind verunsichert, fragen sich, ob ihnen der heimische Energieversorger in der Vergangenheit zu viel Geld abgeknöpft hat. Was raten Sie den Menschen?
Jürges: Man muss davon ausgehen, dass überhöhte Preise abgerechnet wurden. Das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 17. Dezember 2008 hat eindeutig festgestellt, dass eine Preiserhöhungsklausel - wie sie auch die AggerEnergie in ihren Verträgen hatte - unwirksam ist. Konsequenz ist, dass Kunden die zu viel gezahlten Gelder zurückfordern können.

OA: Die Geschäftsführung der AggerEnergie zieht sich jedoch auf den Standpunkt zurück, dass sie das BGH-Urteil nicht direkt betreffe.
Jürges: So eine Behauptung ist natürlich haltlos. Die Verträge der AggerEnergie stimmen zum Teil wortgleich mit denen überein, die vom BGH beanstandet wurden. Der hiesige Energieversorger fährt derzeit eine Abschreckungsstrategie, verweist die Menschen auf den Klageweg, um die Hürde für den Protest möglichst hoch zu legen.

OA: Was sollte ein Kunde denn nun praktisch unternehmen?
Jürges: Viele Kunden haben ihre Ansprüche bereits persönlich geltend gemacht, und jetzt muss jeder für sich entscheiden, ob er den Weg vor Gericht geht, denn außergerichtlich kommt man nicht mehr weiter. Freiwillig wird die AggerEnergie nicht zahlen. Natürlich ist der Gang vor Gericht immer mit einem Risiko verbunden - allerdings nur dann, wenn man keine Rechtsschutzversicherung hat. Sicher kann man auch erst einmal abwarten und sehen, wie sich die Dinge weiter entwickeln. Dabei gerät man aber in Gefahr, dass die Ansprüche möglicherweise verjähren könnten.

OA: Kann man einen Musterprozess erwarten?
Jürges: Jeder Kunde muss selbst seine Ansprüche durchsetzen, jeder benötigt ein Urteil. Niemand kann sich darauf verlassen, Geld ausgezahlt zu bekommen, sollte die AggerEnergie einen Prozess verlieren.

[Bilder: Bernd Vorländer --- Rechtsanwalt Ole Jürges vertritt zahlreiche AggerEnergie-Kunden.]

OA: Befindet sich die AggerEnergie in einer Existenz bedrohenden Lage, weshalb sie auch diese harten Verteidigungsgefechte führt?
Jürges Für den Energieversorger ist es sicherlich eine heikle Situation, und man muss sich die Frage stellen, ob Rückstellungen für diesen Fall der Fälle gebildet worden sind. Die AggerEnergie verneint dies, was wenig vorausschauend gewesen wäre, denn der Rechtsstreit vor dem BGH schwelt schon lange, und man hätte bei der AggerEnergie wissen müssen, dass man möglicherweise vor einer Welle von Rückforderungen steht.

OA: Sie vertreten ja bereits einige Kunden der AggerEnergie. Wie ist die Stimmung bei den Menschen?
Jürges: Es ist eine gewisse Verärgerung zu spüren, gerade auch wie die AggerEnergie auf das BGH-Urteil reagiert hat.

OA: Der Bund der Energieverbraucher empfiehlt, die eigene Gasrechnung schon einmal vorsorglich zu kürzen, um Erhöhungen entgegenzutreten?
Jürges: Man muss unterscheiden: Sollte bei der nächsten Abrechnung, die ja in Kürze zu erwarten ist, eine Nachzahlung ausgewiesen werden, empfehle ich, Widerspruch einzulegen und diese Nachzahlung nicht zu leisten. Bei der Kürzung der künftigen Abschläge aufgrund von zu erwartenden Rückzahlungen aus der Vergangenheit ist es etwas schwieriger: Zwar sind diese eigentlich gerechtfertigt, aber die Gasgrundversorgungsverordnung gilt, und darin steht, dass der Kunde nur mit Forderungen verrechnen darf, die entweder unbestritten, oder aber gerichtlich festgestellt sind. Beides ist ja nicht der Fall. Aus diesen formellen Gründen sehe ich diese Kürzung für problematisch an.

OA: Was für die Menschen wichtig ist: Niemand muss befürchten, dass ihm der Gashahn abgedreht wird?
Jürges: Bei der AggerEnergie hat es dies nach meinem Kenntnisstand bislang nicht gegeben. In anderen Fällen wurden Fälle, in denen das Gas abgestellt wurde, von Gerichten als rechtswidrig beurteilt.

[Jürges rät, bei Nachforderungen in der nächsten Rechnung diese nicht zu zahlen.]

OA: Hat die AggerEnergie die Situation und den Protest unterschätzt?
Jürges: Da deutet vieles drauf hin. 2005 gab es eine Veranstaltung der AggerEnergie, auf der der damalige Geschäftsführer erklärte, dass alle Kunden ihr Geld zurückerhalten sollten, wenn dies von einem Gericht so festgestellt worden sei. Heute will man von diesem Bekenntnis nichts mehr wissen.

OA: Unterschwellig wird häufig von bestimmter Seite der Vorwurf erhoben, dass alle, die sich jetzt gegen die AggerEnergie wendeten, sich geradezu wie „Vaterlands-Verräter“ verhielten. Schließlich gehe es um den heimischen Energieversorger. Ist das schlüssig?
Jürges: Überhaupt nicht. Der heimische Energieversorger sollte sich zuallererst um die heimischen Kunden kümmern. Dafür hat er Verantwortung. Und wenn dann überhöhte Preise abgerechnet wurden, und ein Urteil des BGH missachtet wird, dann hat man wirklich kein einziges Argument mehr, den Kunden den Schwarzen Peter zuzuschieben.

OA: Mal ganz ehrlich: Wie hoch beziffern Sie die Chancen derjenigen, die gegen die Agger-Energie klagen wollen?
Jürges: Das ist natürlich sehr schwierig zu sagen. Eine Redensart besagt bekanntlich, vor Gericht und auf hoher See ist man in Gotteshand, aber ich schätze die Chancen deutlich über 50 Prozent ein.

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