Archiv

Ärzte warnen vor Zusammenbruch der standortnahen Gesundheitsversorgung

ch; 22. Dec 2006, 00:00 Uhr
Oberberg Aktuell
ARCHIV

Ärzte warnen vor Zusammenbruch der standortnahen Gesundheitsversorgung

ch; 22. Dec 2006, 00:00 Uhr
(ch/7.12.2006-11:10) Von Christian Herse
Lindlar – Im Rahmen der Streiks am vergangenen Montag informierten die ortsansässigen Ärzte und die Leiter des Rettungsdienstes und der Katholischen Kliniken Oberberg über die Auswirkungen der kommenden Gesundheitsreform.
[Bilder: Christian Herse --- Gemeinsam informierten und diskutieren Dr.
Josef Mohren, Hans-Josef Dumm, Dr. Thomas Aßmann, Hermann-Josef Tebroke, Dr. Ralf Mühlenhaus und Klaus Peters über die Folgen der kommenden Gesundheitsreform (v.l.).]


Schon jetzt hat das deutsche Gesundheitssystem große Strukturprobleme, die sich mit der neuen Gesundheitsreform noch verschärfen werden. Dieser Meinung sind zumindest Dr. Thomas Aßmann, Obmann der niedergelassenen Ärzte in Lindlar, Dr. Ralf Mühlenhaus, als Leiter des Oberbergischen Rettungsdienstes, der Geschäftsführer der Katholischen Kliniken Oberberg Hans-Josef Dumm und der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein für das Kreisgebiet Oberberg Klaus Peters. Sie warnten auf einer Informationsveranstaltung, zu der Lindlars Bürgermeister Hermann-Josef Tebroke geladen hatte, am Montag vor der neuen Gesundheitsreform.

Peters äußerte sich kritisch zu den geplanten Veränderungen. Mehr als 70 Prozent der gegenwärtigen Medizinstudenten streben keine Niederlassung mehr als Arzt an. Durch immer höhere Kosten und ein immer niedriger werdender Gewinn wird diese Zahl in den nächsten Jahren vermutlich sogar noch weiter ansteigen. Dabei hat Oberberg neue Mediziner bitter nötig. Schon heute sind über 50 Prozent aller praktizierenden Ärzte über 50 Jahre, über 35 Prozent sogar über 55 Jahre alt. Besonders im Bereich der Chirurgie und Kindermedizin wird es deswegen in den kommenden Jahren zu starken Veränderungen kommen.

Ähnlich pessimistische Aussichten vertritt auch Hans-Josef Dumm. Als Geschäftsführer der Katholischen Kliniken Oberberg in Engelskirchen und Lindlar merkt er besonders den Rationalisierungsdruck. Seit nun schon zwei Jahren herrscht ein genereller Ausbau- und Investitionsstopp für die Kliniken. „Wie sollen wir aus den roten Zahlen herauskommen, wenn wir kein Geld ausgeben dürfen? Über 50 Prozent aller deutschen Kliniken befinden sich jetzt schon im roten Bereich“, so Dumm. Er erwartet, dass sich die Anzahl der Krankenhäuser in den nächsten Jahren von 2.160 auf unter 1.900 verringern und damit um ein Drittel zurückgehen wird. Damit sei für Dumm eine wohnortnahe Betreuung praktisch unmöglich.

Als Beispiel erklärte er, dass die Katholischen Kliniken Oberberg im vergangenen Jahr über eineinhalb Millionen Euro Schulden gemacht haben. Einer der Gründe sei dabei, dass die Abteilungen in Engelskirchen und Lindlar zu groß seien. Jedoch stehen schon jetzt viele Bereiche im Lindlarer Krankenhaus leer und werden nicht genutzt. Als eine langfristige Lösung sieht Dumm deswegen nur eine Fusion der beiden Kliniken. „Ich sehe die neue Gesundheitsreform als einen Angriff auf alle Krankenhäuser, dem unbedingt Einhalt gegeben werden muss.“, so Dumm.

[Solche Lohnstreifen muss jeder Arzt jährlich ausfüllen.]

Der Obmann der niedergelassenen Ärzte Lindlar, Dr. Thomas Aßmann, veranschaulichte die aktuelle Lage an einem Beispiel. Er ließ von zwei Kindern einen so genannten „Lohnstreifen“ ausrollen, den jeder Arzt von der Behörde bekommt und ausfüllen muss. Dadurch würde ein enormes Maß an Arbeitszeit für die Büroarbeit verloren gehen. Dazu Aßmann: „Ich wehre mich als Arzt einfach dagegen, als Sparkommissar eingesetzt werden. Ich will den Menschen helfen und möchte nicht nach Möglichkeiten suchen, wie ich am Besten bei ihnen sparen kann.“

Schon heute reiche sein Budget für die Patienten nicht mehr aus. So bekomme er pro gesetzlich versicherten Patient nur 12,50 Euro pro Quartal von der Krankenkasse, dürfe allerdings bloß für knapp fünf Euro pro Patient Krankengymnastik verschreiben. „Was ich bei dem einen mehr ausgebe, muss ich bei dem anderen einsparen. Ansonsten bekomm ich Stress mit der Kasse.“, beschwert sich Aßmann.

Aus diesem Grund sieht er schwere Zeiten auf die niedergelassenen Ärzte zukommen: „Es wird immer weniger ortsansässige Praxen geben. Vielmehr werden sich Arztzentren in den größeren Ortskernen bilden, zu denen alle Patienten gehen müssen.“ Eine schlechtere Grundversorgung und enorm verlängerte Wartezeiten seien die Folgen.

Als ein Puffer und neues Bindeglied sieht sich infolgedessen Dr. Ralf Mühlenhaus als Leiter des Rettungsdienstes im Oberbergischen Kreis. Schon heute seien beispielsweise die Abrechnungsarten der Krankenkassen höchst schleierhaft. „Wir werden pro Transport bezahlt. Das heißt, wenn wir zu einem Einsatz gerufen werden, bei dem der Patient verstirbt, dann wird uns dies als Leerfahrt angerechnet und nicht erstattet.“, erläutert Mühlenhaus. Dabei sei es egal, ob nur ein Rettungswagen oder auch der Notarzt alarmiert wurden. Der Mensch würde zu einem Sachgegenstand verkommen.

[Mühlenhaus sieht den Rettungsdienst als Puffer missbraucht.]

Mühlenhaus ist sich sicher, dass es aufgrund des Wegfalls der niedergelassenen Ärzte zu mehr Krankenfahrten kommen wird. Der Rettungsdienst wird so, wie er jetzt besteht, aufhören zu existieren und sich komplett neu strukturieren.

Alle Experten waren sich darum in einem Punkt einig: Die Gesundheitsreform darf so, wie sie aktuell geplant ist, nicht in die Realität umgesetzt werden. Denn dies würde zwangsläufig zu einem Knockout für das gesamte Gesundheitssystem führen. „Sollte die Gesundheitsreform eingeführt werden, müssen wir uns auf eine schlechtere Qualität der Versorgung oder höhere Beiträge einstellen.“, erklärte Dr. Josef Mohren, Chefarzt am Lindlarer Krankenhaus.

Besonders im ländlichen Bereich, wo der prozentuale Anteil an Patienten pro Arzt generell schon niedriger liegt, als im Städtischen, wird es zu Problemen kommen. Dumm ist dabei froh, dass sich die Krankenhäuser in Lindlarer und Engelskirchen auf die Innere Medizin und die Geriatrie beziehungsweise auf die Chirurgie spezialisiert haben. Dadurch sei sicher gestellt, dass es mittelfristig zu keiner Schließung kommt.

[Interessiert hörten die eingeladenen Bürgern im Lindlarer Ratsaal "Alte Schule" den Experten zu.]

Bedauern tut er dabei allerdings die Auflösung der Gynäkologie in Engelskirchen: „Wir hätten sie gerne weitergeführt. Allerdings war sie einfach nicht mehr finanzierbar. Ehe wir eine ganze Klinik schließen müssen, machen wir dies lieber mit einzelnen Abteilungen.“

Aßmann schlug in diesem Zusammenhang auch noch einmal die Einführung von Notfallpraxen vor. Dies könne allerdings nur mit Ärzten aus verschiedenen Kommunen gemeinsam entschieden und eingeführt werden. Während sein Vorschlag in Lindlar großen Zuspruch fand, sahen dies die Mediziner in Engelskirchen und Ründeroth eher skeptisch. Der Obmann der niedergelassenen Ärzte versicherte aber, dass dieses Projekt noch nicht ganz vom Tisch sei: „Wir sind weiter dran, einen Umsetzungsplan auszuarbeiten. Dies geht allerdings nicht von heute auf morgen.“



WERBUNG