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"Skandalträchtiges Urteil gegen die Schleckerbande offenbart Kollaps der Strafjustiz"

pl; 24. Jan 2005, 06:22 Uhr
Oberberg Aktuell
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"Skandalträchtiges Urteil gegen die Schleckerbande offenbart Kollaps der Strafjustiz"

pl; 24. Jan 2005, 06:22 Uhr
(pl/9.1.2005-21:15) Oberberg - Kritisch nimmt der Bund Deutscher Kriminalbeamter das am Freitag ausgesprochene „skandalträchtige“ Urteil gegen die so genannte „Schleckerbande“ auf - BDK NRW und Gummersbach fordern jetzt kurzfristig 200 neue Stellen für Staatsanwälte und Strafrichter in NRW.
Zu Bewährungsstrafen von zehn Monaten bis zu einem Jahr und zehn Monaten verurteilte am Freitag die fünfte Große Strafkammer des Landgerichtes Köln acht Kosovaren, die von Dezember 2003 bis März letzten Jahres Tresore aus mehreren Drogeriemärkten im Bergischen und Oberbergischen - unter anderem in Bergneustadt und Loope - stahlen. Ein Angeklagter, der zum Zeitpunkt der Einbrüche zur Bewährung auf freiem Fuß war, wird jetzt in sein Heimatland abgeschoben. Mit ihrem Urteil folgten die Richter den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigern, die sich bereits im Vorfeld der Verhandlung auf milde Strafanträge geeinigt hatten.

"Es war eine Verkettung glücklicher Umstände, die zu diesem außergewöhnlichen Ergebnis geführt hat" sagte am Freitag der Vorsitzende Richter Heinz Hemmers in der Urteilsbegründung im Prozess gegen die "Schlecker-Bande". Der Richter betonte, dass er die Taten mit bis zu zehn Jahren Haft hätte bestrafen können. Nur weil der Staatsanwalt wegen zurzeit großer Belastung ein schnelles Verfahren wollte, kamen die Angeklagten mit einem blauen Auge davon. "Wären im Prozess alle Beweise gegen die Angeklagten vorgelegt worden, hätten wir bis zu 15 Verhandlungstage gebraucht.“ So dauerte der Prozess anderthalb Tage.

„Der Fall offenbaren den offensichtlich bevorstehenden Kollaps der NRW-Strafjustiz. Seit Jahren antwortet das Justizministerium auf immer komplexere Strafverfahren gegen Intensivtäter und Kriminelle der Organisierten Kriminalität mit einem völlig unzureichenden Personalbestand bei der Staatsanwaltschaft und den Strafgerichten", erklärte der BDK-Landesvorsitzende Wilfried Albishausen (Bild) nach „einem für den Kriminalistenverband skandalträchtigen Urteil. Intensive Aufklärungsbemühungen der Kriminalpolizei, die Festnahmen von Schwerkriminellen - leider oft aus dem Ausland - ermöglichen, beantwortet die Justiz mit als Freispruch empfundenen Freiheitsstrafen zur Bewährung."

Der BDK fordere seit Jahren eine deutliche Verstärkung der Strafjustiz, mindestens je 100 Staatsanwälte und Strafrichter, da manche Prozesse mehrere Jahre bis zum Urteil benötigen. „In dieser Zeit türmen sich neue Prozesse auf. Die Arbeitsüberlastung des Staatsanwaltes ist daher glaubhaft, darf aber nicht dazu führen, dass nach zeitintensiven Ermittlungen der Kriminalpolizei des Oberbergischen Kreises die Täter mehr oder weniger ungestraft davon ziehen - und selbst Täter unter Bewährung wieder Bewährungsstrafen erhalten“, so Albishausen.

Für die Überführung dieser Täter war in Gummersbach auf Anweisung der Bezirksregierung eine Vier-Mann-Kommission über ein halbes Jahr eingesetzt, die sich aus Beamten aus Leverkusen, Bergisch-Gladbach, Gummersbach und Siegburg zusammensetzte. Die vielen Tatorte in Schlecker- und andere Supermärkte lagen in diesen Kreisen, aber auch in Köln, dem Sauerland und anderen Bundesländern.

Den Tätern wurden in der Anklage 19 dieser schweren Diebstahlstaten vorgeworfen. Sie waren arbeitslos und lebten praktisch von diesen Taten. Insgesamt wurden vom Landeskriminalamt cirka 70 solcher Taten mit erheblichem Schaden festgestellt, so dass die Täter möglicherweise noch für weitere Taten verantwortlich sind. Vier der Täter wurden unter Einsatz von Spezialeinheiten Anfang März 2004 auf frischer Tat an einem Tatort in Bayern festgenommen. Sie befanden sich aber nur wenige Wochen mit ihren weiteren Mittätern in Untersuchungshaft und blieben bis und nach der Verhandlung auf freiem Fuß, weil sie gleich 19 Rechtsanwälte einsetzten, die im Rahmen der Haftprüfung auf schnelle Freilassung plädierten.

Die Täter hatten teilweise Tatfahrzeuge auf dem Weg zum Tatort gestohlen, die Wertschränke und Tresore in Waldgebieten gewaltsam geöffnet und weit über 100.000 € erbeutet, die teilweise in den Kosovo überwiesen wurden. Die Täter sind größtenteils mit deutschen Frauen verheiratet und können nicht abgeschoben werden. Die Staatsanwaltschaft sah sich offensichtlich aus Personalgründen wegen der geballten Verteidigermacht nicht in der Lage, den Prozess entsprechend seiner Bedeutung zeitintensiv abzuwickeln. "Solche Urteile sind eine Lachnummer, die für schallendes Gelächter vor allem im Kosovo und ganz Südosteuropa sorgen", gibt der Landesvorsitzende Wilfried Albishausen nur noch entsetzt zu Protokoll.

Die Kriminalpolizei in NRW habe gerade in den letzten Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen, Täter aus Südosteuropa zu überführen. Wenn auf diese Ermittlungsanstrengungen mit nicht spürbaren Bewährungsstrafen, die als Freispruch empfunden werden, statt mit langjährigen Haftstrafen wie möglich geantwortet wird, sei dies eine Missachtung des Strafrechtes. Dies sieht wie vom Richter formuliert Strafen bis zu 10 Jahren statt Bewährungsstrafen vor. Diese Urteile seien aber auch eine Missachtung der kriminalpolizeilichen Arbeit und des Mehrheitswillens der Bevölkerung. „Solche Urteile offenbaren die Hilflosigkeit unseres Rechtsstaates, auf diese neuen Bedrohungen zu antworten“, so Albishausen.

Dabei zeigten gerade hohe Zeitstrafen, dass sie ihre Wirkungen bis in die hintersten Ecken dieser Welt auf Straftäter erzielten und sie davon abhalten würden, weitere Straftaten in der Bundesrepublik zu begehen und gleich ihre Verwandtschaft und Nachbarschaft zu Taten mitzubringen, da sich Kriminalität in Deutschland scheinbar lohne. Es gebe keinen Grund, gnädig zu aus dem Kosovo oder aus anderen Nationen und deutschen Ländern anreisenden Straftätern zu sein, da sie dies nur als Ermutigung für weitere Beutezüge auffassen würden.

Der BDK-Landesvorsitzende weiter: „Wenn hier Richter Hemmers von einer Verkettung glücklicher Umstände spricht, die zu diesem Urteil führten, können sie nur als glücklich für die Täter betrachtet werden. Sie sind nicht glücklich für die Mitarbeiter in Schlecker-Märkten, die Unternehmensführung, die viele Steuern in Deutschland bezahlt und Arbeitsplätze schafft, nicht für die ermittelnden Kriminalisten und nicht für die rechtschaffenen Bürger."

Neben der Verstärkung der Strafjustiz fordert der Verbandsvorsitzende abschließend die Staatsanwaltschaft auf, das Urteil anzufechten, da es „nicht unter rechtsstaatlichen Bedingungen zustande gekommen ist“ und die Haftplätze in NRW so auszubauen, dass nicht regelmäßig auch Schwerkriminelle zu der immer beliebteren Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung auch deshalb verurteilt würden, nur weil nicht genügend Haftplätze gebaut wurden.

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