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In Marienheide wird wieder geschneidert

Red; 17. Oct 2018, 13:34 Uhr
Bilder: Fenja Jansen --- Ahssan Joja kam 2015 nach Deutschland. Schon zuvor hat er sich seinen Lebensunterhalt als Schneider verdient - und will dies jetzt wieder tun.
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In Marienheide wird wieder geschneidert

Red; 17. Oct 2018, 13:34 Uhr
Marienheide – Ahssan Joja aus Syrien hat sich mit Unterstützung der AWO als Schneider selbstständig gemacht – Mit der Eröffnung der „Flinken Nadel“ wird gleichzeitig eine Versorgungslücke im Ortskern geschlossen – AWO: Projekt mit Modellcharakter.
Marienheider, die über eher mäßiges Talent im Umgang mit Nadel und Faden verfügen, mussten mitunter weite Wege auf sich nehmen, um eine Hose kürzen oder einen neuen Reißverschluss in die Jacke ziehen zu lassen. Seit Schneider Mustafa Yildiz im November 2017 in seine türkische Heimat zurückkehrte, war der Ortskern ohne Schneider und es klaffte eine Lücke in der Nahversorgung.

Gleichzeitig strengte sich Ahssan Joja (45) in den Deutschkursen des Asylbewerber-Bildungs-Centrums (ABC) in Marienheide an, die Sprache seiner neuen Heimat zu lernen. Er war mit seiner Frau und den vier Kindern aus Afrin in Syrien, einer Stadt nahe Aleppo, in der bis in die jüngste Zeit immer wieder Kämpfe aufbrandeten, vor den Gräuel des Krieges geflohen. Ihr Weg führte sie über die Türkei und die gefährliche Route über das Mittelmeer nach Deutschland – und schließlich nach Marienheide. Sowohl in der syrischen Heimat als auch in der Türkei verdiente Joja den Lebensunterhalt der Familie als Schneider.


[Gemeinsam vorm Ladenlokal (v. li.): Bernd van Tilburg, Silvia Förster, Gerd Fangmann (alle AWO), Schneider Ahssan Joja sowie Klaus-Ulrich Nieder und Werner Rosenthal, Vorsitzender der AWO Marienheide.]

Wieder gleichzeitig fragten sich Mitglieder der AWO Marienheide, ob der Schritt in die Selbstständigkeit ein geeigneter Weg sein kann, um geflüchtete Menschen mittleren Alters wieder in Arbeit zu bringen. „Wir überlegten, wo es Bedarfe vor Ort gibt und erfuhren von Schneider Yildiz und seiner Rückkehr in die Türkei. Ebenso wussten wir, dass es im ABC einen syrischen Schneider gibt, der auf der Suche nach Arbeit ist“, erklärt Werner Rosenthal, der sich wie viele andere AWO-Mitglieder im ABC engagiert. So startete das Projekt „Schneiderei“, welches für die AWO Marienheide Modellcharakter besitzt: „Viele Geflüchtete brennen darauf, wieder zu arbeiten und bringen dabei genau das Potenzial mit, das es braucht, Bedarfe vor Ort zu decken.“

Neben Rosenthal packten Silvia Förster, Klaus-Ulrich Nieder, Gerd Fangmann und Bernd van Tilburg mit an, bildeten sich selbst in Sachen „Start-up“ fort, besuchten Gründungsmessen, erledigten Behördengänge und suchten allen voran ein Ladenlokal. Währenddessen absolvierte Joja ein Praktikum in einer Schneiderei in Meinerzhagen, erlernte den Umgang mit Kunden und die Preisgestaltung. Das erforderliche Arbeitswerkzeug kaufte die AWO Marienheide dem türkischen Schneider Yildiz ab, und als nach einem Jahr ein passendes Ladenlokal gefunden war, sponserte eine örtliche Elektrofirma neue Leitungen sowie den erforderlichen Starkstromanschluss.


Erstmal finanziert die AWO die Miete für das rund 27 Quadratmeter große Ladenlokal. „Wir geben die Starthilfe, sind aber davon überzeugt, dass sich die Schneiderei bald selber trägt. Der Bedarf ist ja da“, so Nieder. Längst hat man sich umgesehen, was noch so fehlt in Marineheide. „Eine Heißmangel vielleicht – oder ein Paketshop“, schmiedet die AWO Ortsgruppe schon Pläne für die Zukunft.

Seit Ende September ist Joja nun selbstständiger Schneider im Nebenerwerb und glücklich. Dass so viele Menschen sich so engagiert für seine berufliche Zukunft ins Zeug legen, hat ihn tief berührt. Derzeit ist der Inhaber der Schneiderei „Die flinke Nadel“ 15 Stunden in der Woche für seine Kunden da, damit Zeit für Deutschkurse bleibt. Für seine Zukunft wünscht er sich viele zufriedene Kunden, damit er schnell alleine für den Unterhalt seiner Familie und seines kleinen Unternehmens sorgen kann – und natürlich hofft er, dass niemand mehr lange Fahrten auf sich nimmt, um eine Hose kürzen zu lassen. Denn schließlich wird auf der Hei jetzt wieder geschneidert.

Die Änderungsschneiderei „Die flinke Nadel“ (Hauptstraße 117) hat montags, dienstags, donnerstags und freitags von 15 bis 18 Uhr geöffnet sowie an Samstagen von 9 bis 12 Uhr.
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