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'Auf dem Land muss sich nicht alles rechnen'

bv; 26. Jun 2018, 19:19 Uhr
Bilder: Martin Hütt --- Mit Sahra Wagenknecht stand die Fraktionschefin der Linken im Bundestag der Basis in Engelskirchen Rede und Antwort.
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'Auf dem Land muss sich nicht alles rechnen'

bv; 26. Jun 2018, 19:19 Uhr
Engelskirchen - Die Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht, kam nach Engelskirchen, um mit der Basis zu besprechen, wo der Schuh drückt.
Von Bernd Vorländer

OA: Sind diese Termine wie heute in Engelskirchen für sie Last oder Lust?
Sahra Wagenknecht: Das macht mir ganz viel Freude, weil man unmittelbar mit der Basis ins Gespräch kommt. Und die Menschen haben es auch verdient, dass man sie besucht und zuhört. Sie sind diejenigen, die vor Ort die Arbeit machen - und das in Regionen, wo es für uns kein Heimspiel ist.

OA: Ist die Linke nach wie vor eine Großstadtpartei?
Sahra Wagenknecht: Ja, das ist so, aber wir müssen auch im ländlichen Raum verankert sein. Auch hier gibt es viele Menschen, die sich von Politik abwenden und denen müssen wir etwas anbieten. Wir sollten eines deutlich aussprechen: Auf dem Land muss sich nicht alles rechnen. Dann ist nämlich auch der Landarzt noch da, werden Krankenhäuser nicht geschlossen, fährt der Bus nicht nur einmal am Tag. Das sind elementare Fragen der Daseinsvorsorge, die man etwa dadurch finanzieren kann, dass endlich Konzerne angemessen besteuert werden.


OA: Ist mein Eindruck richtig, dass Sie derzeit einen Mehr-Fronten-Konflikt führen?
Sahra Wagenknecht: Wie meinen Sie das?

OA: Sie kritisieren das kapitalistische, allein auf Rendite ausgelegte Wirtschaftssystem scharf, sie wollen die gesamte politische Linke aus einem von Ihnen festgestellten Tiefschlaf wecken und Sie sind ja auch in Ihrer Partei nicht unumstritten, wie der vergangene Parteitag gezeigt hat?
Sahra Wagenknecht: Das sind nicht alles Fronten. Mein politischer Gegner sind diejenigen, die alles in diesem Land auf Rendite trimmen wollen, die Sozialabbau betreiben und die sich um die Interessen der Menschen, gerade der Ärmeren, gar nicht mehr kümmern. Natürlich gibt es auch bei den Linken Auseinandersetzungen. Aber ich werde auch weiterhin meine Meinung vertreten und nicht den Mund halten.


OA: Die Union streitet sich und niemand weiß, ob es diese Regierung kommende Woche noch gibt. Ist dieser Streit mit dem in Ihrer Partei zu vergleichen. Auch sie haben sich über Häme und Diffamierungen beklagt?
Sahra Wagenknecht: Dass man in der Sache streitet, empfinde ich bei keiner Partei verwerflich, denn Parteien, die nicht intern miteinander ringen, sind tot. Was ich schlimm finde, ist, wenn Sachfragen nicht mehr diskutiert werden, um sie zu lösen, sondern um Punkte beim Publikum zu machen. Der Merkel-Seehofer-Konflikt ist keiner in der Sache. Der Innenminister suggeriert, ein deutscher Alleingang und die Zurückweisung an der Grenze könne den Flüchtlingszuzug begrenzen. Das stimmt aber nicht. Folge wäre, dass Italien und andere Länder die Menschen nicht mehr registrieren würden, mit erheblichen Auswirkungen auf Deutschland. Merkel und Seehofer kommen in ihrem Streit nicht zur Wurzel des Problems, nämlich warum so viele Menschen fliehen.

OA: Verstellt eigentlich ihrer Meinung nach das Flüchtlingsthema den Blick auf viele andere gesellschaftliche Bereiche?
Sahra Wagenknecht: Viele Menschen erleben, dass ihre Stimme in der heutigen Politik kein Gewicht mehr hat. Die soziale Unzufriedenheit nimmt zu. Und das hat jetzt ein Ventil gefunden, weil verschiedene Parteien das Thema Flüchtlinge in den Vordergrund stellen. Man tut so, als seien die Flüchtlinge an den Problemen schuld, dabei hatten wir schon vorher zu wenig Kita-Plätze, zu wenig bezahlbaren Wohnraum, zu wenig gut ausgestattete Schulen. Für die Regierungspolitik ist es sehr bequem, dass immer nur über Flucht und Asyl diskutiert wird, und nicht über die wachsende Altersarmut, über schlechte bezahlte Jobs und die Tatsache, dass Konzerne mitunter weniger Steuern zahlen als mittelständische Betriebe.

OA: Sie fordern, dass sich die politische Linke jenseits aller Parteizugehörigkeit sammelt. Was soll das bringen?
Sahra Wagenknecht: Dass viele Menschen gar nicht mehr oder rechtsaußen wählen, ist auch ein Versagen der Linken im Allgemeinen. Mit der SPD etwa ist in den vergangenen 20 Jahren für viele Menschen nichts besser geworden. Aber auch meine Partei hat Fehler gemacht, etwa, dass wir Probleme, die die Bürger jeden Tag erleben, schlicht negieren. Immer noch hängt ein Teil der Linken der Position an, man könne beliebig viele Menschen in Deutschland aufnehmen, wo wir wissen, dass das nicht funktioniert. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Ich verteidige das Asylrecht. Wer verfolgt wird, hat Anrecht auf Schutz. Aber zu suggerieren, als gäbe es keine Voraussetzungen und die Aufnahme funktioniere grenzenlos - das ist absurd. Damit vertreiben wir die Bürger.     
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