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Trotzige Entschlossenheit und Mini-Triumph

bv; 25. Sep 2017, 14:37 Uhr
Bild: Michael Kleinjung --- Die eine muss den Bundestag verlassen, der andere zieht erstmals ins Parlament ein - SPD-Kandidatin Michaela Engelmeier gratulierte Dr. Carsten Brodesser von der CDU.
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Trotzige Entschlossenheit und Mini-Triumph

bv; 25. Sep 2017, 14:37 Uhr
Oberberg – Leise Freude bei den einen, Trauer bei den anderen, ein enttäuschter Liberaler und ein ernüchterter Bürgermeister – Das Wahlergebnis produzierte in der Region eine Reihe von Verlierern (AKTUALISIERT).
Von Bernd Vorländer

Vor vier Jahren hatte Michaela Engelmeier in der Nacht erfahren, dass sie dem Deutschen Bundestag angehören würde. Damals war der Jubel groß. Auch diesmal entwickelte sich der Wahl-Abend zu einer Zitterpartie – diesmal allerdings ohne Happy End. Die Sozialdemokratin muss das Parlament verlassen. Ihr Listenplatz 20 reicht nicht, nachdem sie im Wahlkreis dem CDU-Kandidaten Dr. Carsten Brodesser klar unterlag. Nur bis zum Platz 17 ziehen im einwohnerstärksten Bundesland Nordrhein-Westfalen nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis Sozialdemokraten in den Bundestag ein. „Es hat leider nicht gereicht, wir hatten als SPD ein grottenschlechtes Ergebnis“, so Engelmeier in einer ersten Stellungnahme. Die Sozialdemokratin kündigte an, auch weiterhin politisch aktiv zu bleiben und fügte hinzu: „Heben wir den Kopf hoch, drücken wir unseren Rücken durch und kämpfen weiter für dieses bessere sozialere, wunderschöne und weltoffene Deutschland und gegen die neuen Nazis, die unser Land spalten und kaputt machen wollen.“

Engelmeier will sich jetzt zunächst in einem Urlaub vom Stress des Wahlkampfs erholen und sich überlegen, wie und wo sie sich beruflich engagieren wolle. Sie kandidiere im Dezember auf dem Parteitag der SPD erneut für den Vorstand, werde sich weiter für ein gutes deutsch-israelisches Verhältnis einsetzen und ihr Amt als Vizepräsidentin des Landessportbundes NRW wahrnehmen. Möglicherweise könne sie auch noch im Laufe der Legislaturperiode in den Bundestag nachrücken. „So weit bin ich auf der Liste von einem Einzug gar nicht entfernt“, so die Sozialdemokratin, die die Enttäuschung allerdings auch zugibt: „Ich fühle mich im Moment nicht gut.“  


Natürlich ist die Stimmung bei Dr. Carsten Brodesser eine völlig andere. „So ganz habe ich das alles noch nicht realisiert“, erlebte der neu gewählte oberbergische Bundestagsabgeordnete den Wahlabend wie im Film. Der Stress des Wahlkampfs setzt sich jetzt weiter fort. Am heutigen Abend die Manöverkritik im CDU-Kreisvorstand, dann morgen mit dem Flugzeug nach Berlin zur ersten Fraktionssitzung. „Ich muss mich erst einmal zurechtfinden, mich orientieren und werde versuchen mich im Bereich Finanzen und der enorm wichtigen Entwicklungspolitik einzubringen“, so der 49-Jährige, der Klaus-Peter Flosbach nachfolgt. Der hatte Brodesser bereits am Wahlabend seiner Hilfe versichert und auch empfohlen, thematische Schwerpunkte zu setzen. Eines aber steht für Brodesser fest: „Mein Lebensmittelpunkt bleibt Lindlar.“ Nur in jeder zweiten Woche sei es notwendig, für die Bundestagssitzungen in der Bundeshauptstadt zu sein. Ansonsten solle jeder Abgeordnete das Ohr an den Problemen der Menschen haben.  

Den Schritt der SPD, sich nach dem schwächsten Ergebnis seit 1949 in die Opposition zurückzuziehen, kann Brodesser nachvollziehen. „Das ist die völlig richtige Konsequenz.“ Seine Partei müsse jetzt auch die richtigen Schlüsse aus dem Wahlergebnis ziehen. In Oberberg sei man zwar von einer bösen Überraschung verschont geblieben, dürfe aber dennoch nicht zur Tagesordnung übergehen, weil man wie die SPD Stimmen verloren habe. Rechnerisch sei jetzt auf Bundesebene nur die sogenannte Jamaika-Kombination mit FDP und Grünen möglich, „aber die Fliehkräfte in der Union dürfen auch nicht zu groß werden“, sieht Brodesser es als schwierig an, den Spagat zwischen den kleinen Parteien auf der einen Seite und einer gerupften Schwesterpartei CSU, die 2018 eine Landtagswahl zu bestreiten hat, zu bewältigen. Die Erfolge der AfD empfindet Brodesser als Folge einer Politik der großen Koalition, die ihre Ergebnisse und Pläne zu wenig vermittelt habe. Auf Sorgen der Menschen müsse man zwar jetzt reagieren, aber auch nicht die gesamte eigene Politik in Frage stellen.

In der Brust von Oberbergs FDP-Chef Jörg Kloppenburg schlagen heute zwei Seelen. Natürlich hat er sich über den Wiedereinzug seiner Partei in den Bundestag gefreut und über das gute Ergebnis der Liberalen in Oberberg sowieso. Aber der Fauxpas der fehlenden Unterschrift, die ihn seinen Listenplatz und damit den Einzug in den Bundestag kostete, nagt noch immer. „Ich konnte mich auf diese Enttäuschung ja vorbereiten“, sagt Kloppenburg tapfer, aber er gibt auch zu: „Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, das alles tangiert mich nicht mehr.“ Er wäre dabei gewesen in dieser spannenden Zeit, in der ein Bündnis mit Union und Grünen möglich ist. Jetzt ist er außen vor. Jamaika hält der oberbergische Chefliberale nicht für zwangsläufig, seiner Partei gehe es darum, Ziele zu erreichen und liberale Werte nicht zu verraten. Am Ende hätten die FDP-Mitglieder das letzte Wort, ob Jamaika Wirklichkeit werde.

In Waldbröl, in Denklingen, aber auch auf dem Gummersbacher Bernberg lagen bei der Wahl die Hochburgen der AfD. „Ich kann mir das nicht erklären“, ist Gummersbachs Bürgermeister Frank Helmenstein einigermaßen erschüttert über die Stimmabgabe für die Rechtspopulisten. Die Stadt habe sich gerade in diesem Stadtteil seit Jahren für den sozialen Zusammenhalt eingesetzt. Es werde viel in die Entwicklung investiert, das Quartiermanagement sei erfolgreich. Und Gesprächsangebote gebe es zuhauf. Doch würden die offensichtlich nicht von denen genutzt, die jetzt der AfD ihre Stimme gegeben hätten.



Ulrich Domke, allgemeiner Vertreter von Waldbröls Bürgermeister Peter Koester, erklärte, man beobachte die Situation, die AfD betreffend, besorgt. „Das Thema bewegt uns.“ Schon bei der Landtagswahl war insbesondere das Wahllokal "Maibuche" mit einem starken AfD-Ergebnis aufgefallen. Domke hofft, dass sich die Situation durch die geplanten Ordnungspartnerschaften verbessert und so konservativ eingestellte Wähler beruhigt werden, die sich möglicherweise bei den etablierten Parteien nicht mehr aufgehoben fühlen. „Wir wollen das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung verbessern.“
  
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