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Einsatztagebuch: Bedrohung aus dem Hinterland

ch; 12. Jun 2013, 18:55 Uhr
Bilder: privat --- Heute Morgen fingen die Wehrmänner an, Deiche aus Sandsäcken aufzubauen.
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Einsatztagebuch: Bedrohung aus dem Hinterland

ch; 12. Jun 2013, 18:55 Uhr
Oberberg - Bereits am frühen Morgen mussten die Helfer mit der Evakuierung der Ortschaften um Sandau beginnen – Wasser droht von der Havel ins Hinterland zu strömen – Straßen werden aufgerissen, künstliche Dämme hochgezogen.
Von Christian Herse

Hubschrauber kreisen, meterhohe Bundeswehrfahrzeuge bahnen sich den Weg, Staub legt sich wie ein Nebel über die Region. Was mehr und mehr wie ein Kriegsgebiet aussieht, ist in Wirklichkeit das Havelland rund um die Ortschaft Sandau an der Elbe. Während die Deiche zu diesem Fluss halten, droht das Wasser nun von der anderen Seite. „Nach dem Dammbruch in Fischbeck drücken die Fluten nun über die Havel ins Hinterland“, berichtet Lindlars Wehrführer Dieter Hungenberg, der ebenfalls am Montag nach Sachsen-Anhalt ausgerückt ist.

[Feuerwehrleute aus Lindlar und Wipperfürth sichern einen Schweinemastbetrieb.]

Seit heute Morgen acht Uhr sind die Kameraden deswegen dabei, bei 35 Grad im Sonnenschein künstliche Dämme aus Sandsäcken aufzubauen. Straßen werden zum Teil aufgerissen, damit das Wasser wie in Polder fließen und eben nicht bewohntes Gebiet erreichen kann. „Gestern kam schon das Gefühl auf, dass wir hier nur Alibi-Arbeit verrichten“, so Hungenberg. „Doch heute ist die Gefahr wirklich greifbar.“ Anwohner sind seit den Vormittagsstunden dazu aufgerufen, ihre Häuser zu verlassen, da für ihre Sicherheit nicht mehr garantiert werden kann. „Und dabei wirkt die ganze Szenerie sehr bizarr. Wir haben alle starken Sonnenbrand und es ist von hier aus kein Wasser in Sicht“, räumt Lindlars Wehrchef ein.

Doch dieses wird kommen. Auf 50 Meter Länge ist der Deich bei Fischbeck gebrochen, auf einer Höhe von 2,50 Meter schießt das Wasser ins dahintergelegene Land, welches tiefer als der Wasserspiegel liegt.


[Während in Sandau noch kein Wasser in Sicht ist, steigen im Nachbarort die Pegel um 40 Zentimeter pro Stunde. Die Bundeswehr hat daher provisorische Sandsack-Lager aufgebaut.]

Die Müdigkeit sei den Männern dabei anzusehen, doch es bleiben alle hochmotiviert. „Wir können einfach wieder abrücken, aber die Menschen hier verlieren dann alles“, heißt es aus den Reihen der Helfer. Und deswegen werden weiterhin die Säcke auf bis zu 1,90 Meter Breite und 2 Meter Höhe gestapelt sowie Schweinemastbetriebe gegen die drohenden Fluten gesichert.

Ernüchterung herrschte hingegen gestern Abend. Nachdem über längere Zeit keine Sandsäcke mehr geliefert wurden, wurde der Einsatz abends abgebrochen. Davon ist heute nicht auszugehen. „Wir hoffen, dass wir irgendwie abgelöst werden. Aber danach sieht es aktuell nicht aus“, sagt Hungenberg. Derzeit gehe die Einsatzleitung davon aus, einen Schichtbetrieb aufzunehmen, damit die gesamte Nacht durchgearbeitet werden kann.

Doch wenn eines sicher sei, dann sei es die Unsicherheit. Immer wieder gerate die Informationskette ins Stocken. Gesamteinsatzleiter Wolfgang Weiden werde regelmäßig zu Besprechungen gerufen, wo er auf den neusten Stand gebracht wird. „Während die einen die Dörfer schützen, bereiten andere einen sicheren Rückzugsweg für uns vor“, macht Hungenberg die Bedrohung deutlich. Wo man morgen eingesetzt wird, sei noch völlig unklar. Allerdings stelle man sich langsam auf einen Einsatz bis zum Wochenende ein, da mittlerweile die Zahl an Kräften nicht mehr ausreiche.

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