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Wenn Helfer selbst Hilfe brauchen

ch; 28. Oct 2012, 18:55 Uhr
Bilder: Christan Herse/News5 --- Bei einem Flugzeugabsturz in Bayern werden im Sommer 2012 vier Insassen getötet. Die Freiwilligen Feuerwehrleute müssen die verbrannten Leichen bergen und beim Abtransport helfen. Danach brechen einige aufgrund der Eindrücke des gerade Erlebten zusammen.
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Wenn Helfer selbst Hilfe brauchen

ch; 28. Oct 2012, 18:55 Uhr
Oberberg – In einer dreiteiligen Serie beleuchtet Oberberg-Aktuell die Arbeit von Rettungskräften hinter den Absperrungen und abseits der Öffentlichkeit – Zweiter Teil: Die psychische Unterstützung von Helfern nach schweren Einsätzen.
Von Christian Herse

Es ist Sonntagnachmittag an einem Sommertag. Viele nutzen die warmen Temperaturen zu einem Ausflug. Auch der 23-jährige Maik K. ist mit seinem Ford Cabrio auf einer Landstraße im Oberbergischen unterwegs, als er in einer Kurve von einem Motorrad geschnitten wird. Er verliert die Kontrolle über seinen Wagen, kommt von der Straße ab und knallt gegen einen Baum - durch die Wucht des Aufpralls wird er herausgeschleudert. Der Rettungsdienst trifft ein und beginnt sofort mit der Reanimation des Leblosen. Da aus dem Ford Öl und Benzin austreten, fordern die Retter über Funk die Feuerwehr an - und erstarren, als sie nur wenige Sekunden später aus dem Fahrzeug den Alarmton eines Feuerwehrmelders hören. Sie wissen, dass in wenigen Minuten die Floriansjünger eintreffen und davon Zeugen werden, wie ein Kamerad von ihnen, ein Kollege und ein Freund auf offener Straße um sein Leben kämpft. Nicht jedem gelingt es, solch eine Extremsituation zu verarbeiten.

[Michael Marx (re.) gestaltet die PSU aktiv mit, um Feuerwehrkameraden nach schweren Einsätzen zu helfen.]

Sie kommen, um zu helfen und brauchen danach selbst Hilfe. Ein Umstand, der jahrzehntelang stiefmütterlich auch im Oberbergischen behandelt wurde. Wer nach einem Einsatz Schwäche zeigte, war nicht geschaffen für diese Arbeit. Und dennoch funktionierte die Einsatzaufbereitung damals besser wie heute. „Früher war die Geselligkeit größer, es existierte eine engere Kameradschaft“, erinnert sich Michael Marx. „Nach schwierigen Einsätzen hat man sich bei den Freiwilligen Wehren noch für ein Bier zusammengesetzt und darüber gesprochen. Das tat gut und half bei der Verarbeitung enorm.“ Heute ist Alkohol im Dienst verboten und man hat weniger Zeit füreinander, räumt der jetzige Leitstellendisponent aus Marienheide ein.

Er hat frühzeitig erkannt, dass nicht nur Unfallopfern und deren Angehörigen nach tragischen Ereignissen geholfen werden muss, sondern auch den Helfern selbst. Darum war er gemeinsam mit den Fachberatern Seelsorge einer der Ersten, die 2002 entsprechende Strukturen zur Psychosozialen Unterstützung im Oberbergischen aufgebaut haben. Heute stehen insgesamt sechs Einsatzkräfte, die in 120 Stunden ausgebildet wurden, gemeinsam mit acht Seelsorgern als Fachberater sowie acht weitere Freiwillige im Ernstfall zur Verfügung.

„Jeder verarbeitet ein Trauma ganz anders“, erklärt Marx. „Manche kommen wirklich gut mit dem Erlebten klar, andere öffnen sich vielleicht Kameraden und wieder andere sagen nichts, sodass sich innerlich ein Druck aufbaut, dem sie irgendwann nicht mehr Stand halten können.“ Oftmals vermischen sich ihre Einsatzerfahrungen dabei mit anderen Erlebnissen, wodurch neue Realitäten entstehen, welche die Kameraden nicht mehr loslassen. Andere hingegen ziehen sich aus der Öffentlichkeit zurück oder sind schneller reizbar. „Wir sind alles normale Menschen, das sind ganz normale Reaktionen auf ein außergewöhnliches Ereignis“, betont Marx. Und dennoch: Obwohl man offensiv in den letzten Jahren auf die Feuerwehren oder Hilfsorganisationen zugegangen ist, ist die Nachfrage gering – erst einmal sind die Helfer der PSU angefordert worden.


[Ein Auto wird von einem umstürzenden Lkw zerquetscht - die Feuerwehrleute müssen die Eingeklemmten in einer stundenlangen Rettungsaktion befreien. Ein Extremereignis, was nicht nur bei den Unfallopfern Spuren hinterließ.]

Vieles laufe jedoch mündlich nebenbei, sodass die PSU-Helfer um Rat gefragt werden, ohne aktiv einzugreifen. Wird man jedoch darum gebeten, kommen alle am Einsatz Beteiligten in einer Einsatznachbesprechung zusammen, wo jeder berichten kann, was er gemacht hat und wie er sich dabei fühlt. „Der Maschinist hat die Ereignisse vielleicht nur am Funk mitbekommen, weil er am Fahrzeug bleiben musste. Andere waren vielleicht mittendrin im Geschehen und konnten sich nicht ausklinken, was sie möglicherweise lieber getan hätten“, weist Marx auf die unterschiedlichen Aufgaben der Feuerwehrmänner im Einsatzfall hin. „Nach dem Gruppengespräch sind aber alle auf einem Stand.“

Die Sitzungen sind als Angebot zu verstehen und eignen sich sowohl für Feuerwehr als auch Rettungsdienst-Mitarbeiter. Neben dem Seelsorger sitzen zudem entsprechend geschulte Fachkräfte in der Runde, die sich mit der Materie auskennen.

Erfahrungsgemäß muss nur jemand den ersten Schritt wagen und erzählen, wie er sich gefühlt hat und was er getan hat. „Der Rest sprudelt häufig dann aus einem heraus und andere merken, dass sie mit ihren Gefühlen nicht alleine sind.“ Grundsätzlich werde niemand zu etwas gezwungen. „Das passiert alles freiwillig und im Vertrauen“, betont Marx. Gedanken, die während der Sitzung erwähnt werden, bleiben unter den Teilnehmern und werden nicht nach draußen getragen. Entscheidend sei, dass die PSU-Helfer, die zu viert so eine Gruppenbetreuung durchführen, keine Lösungen vorgeben, sondern sich als Kollegen mit Ratschlägen anbieten. „Die Betroffenen müssen für sich selbst erkennen, was das Beste für sie ist.“ Nur dann habe man eine Chance auf Erfolg, so die Erfahrung der Psychosozialen Unterstützer.

In der Zukunft möchte man sich noch aktiver miteinbringen und bei großen Schadensereignissen, so genannten MANV-Lagen (Massenanfall von Verletzten), automatisch direkt zum Einsatzort mit ausrücken, um für die Helfer als Ansprechpartner zu fungieren. „Es gibt leider immer welche, die durch das Raster fallen, aber so können wir direkt vor Ort reagieren und auf die Leute auch zugehen“, hofft Marx auf größeres Verständnis. „Die Kameradschaft funktioniert noch, aber die Gesellschaft hat sich sehr gewandelt. Der Mensch wird mehr zum Einzelkämpfer, doch auf der anderen Seite auch offener für solche früheren Tabu-Themen.“ Wenn Helfer selbst Hilfe brauchen, so ist dies für viele kein Eingeständnis mehr von Schwäche, sondern zeigt Stärke, dass man sich seinen eigenen Ängsten stellt. „Und das ist heute sehr viel wert“, ist sich Marx sicher.

Demnächst als dritter Teil: In den schwersten Stunden nicht alleine sein - Die Arbeit der Opferschützer der Polizei
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