BLAULICHT

Strafprozess: Fast 100.000 Euro verschwunden – Verfahren wird eingestellt

pn; 30.04.2024, 17:00 Uhr
Symbolfoto: Peter Notbohm.
BLAULICHT

Strafprozess: Fast 100.000 Euro verschwunden – Verfahren wird eingestellt

pn; 30.04.2024, 17:00 Uhr
Waldbröl – Vor dem Amtsgericht Waldbröl mussten sich ein 67-Jähriger und eine 43-Jährige wegen Untreue in 23 Fällen verantworten - Angeklagter war sich keiner Schuld bewusst - Ein Zivilgericht hatte bereits einen Titel gegen ihn ausgestellt.

Von Peter Notbohm

 

Mit einem blauen Auge sind vor dem Amtsgericht Waldbröl am Montag Jan S. (67) und Nina U., seine 43-jährige Lebensgefährtin (Anm.d.Red.: Alle Namen geändert), davongekommen. Ein Schöffengericht stellte das Verfahren wegen gemeinschaftlicher Untreue in 23 Fällen sowie wegen falscher Versicherung an Eides Statt in einem Fall gegen eine Zahlung in Höhe von insgesamt 30.000 Euro ein.

 

Die Staatsanwaltschaft hatte beiden vorgeworfen, zwischen dem 12. März 2018 und dem 7. Januar 2022 mit ihrer Vertriebsfirma fast 85.000 Euro eines Buchverlags unterschlagen zu haben, für den die Firma mehrere Zeitschriften vertrieben hat. Zudem soll der 67-Jährige, der faktischer Geschäftsführer der Firma war, gegenüber einem Obergerichtsvollzieher am 7. April 2022 falsche Angaben über das Vermögen der Firma gemacht haben. Seine Lebensgefährtin habe von allem nie etwas gewusst, da sie nur auf dem Papier als Geschäftsführerin des Unternehmens eingetragen gewesen sei, um sie abzusichern. Sie hatte nur kleine Arbeiten innerhalb des Unternehmens übernommen.

 

Die Untreue bestritt der Angeklagte bis zuletzt, konnte die Zahlungen aber auch nicht nachweisen, was ihm bereits zivilrechtlich vor dem Landgericht Köln zum Verhängnis geworden war. Die Zahlungen an alle Verlage, mit denen er zusammengearbeitet habe, seien stets per Sammelüberweisung rausgegangen. „Ich gehe zu 100 Prozent davon aus, dass alles gezahlt wurde. Wir hatten nie ein Problem mit dem Finanzamt oder mit einem anderen Verlag“, sagte Jan S. Auch von dem betroffenen Verlag habe es bis zum Zivilprozess nicht ein einziges Mal eine Beschwerde oder eine Mahnung gegeben. „Das kam aus heiterem Himmel.“

 

Gleichzeitig musste Jan S. aber eine schlampige Buchhaltung einräumen. Nach Erstellung der Abrechnungen seien die Buchungen und die Kontenabstimmung für den Jahresabschluss durch eine externe Steuerberatungskanzlei, gegen die der 67-Jährige mittlerweile einen Haftungsprozess in anderer Sache führe, durchgeführt worden.

 

Auch bei seiner Hausbank sei er nicht weitergekommen. Die Einzelposten der Sammelüberweisungen seien nur ein Jahr lang digital rückverfolgbar, die genauen Daten der Überweisungen inzwischen mikroverfilmt. „Diese abzufragen kostet aber ein irres Geld und dauert monatelang“, so der Angeklagte. Die Strafanzeige durch den Verlag erfolgte auch deshalb, um eine verlängerte zivilrechtliche Haftung zu haben und um den Titel in das Vermögen der beiden Angeklagten zu vollstrecken.

 

Bei Richter Carsten Becker löste diese Erklärung Verwunderung aus: „Ich verstehe nicht, warum man einen Titel über sich ergehen lässt und zudem das Risiko eingeht, in den Knast zu gehen. Als Geschäftsmann hätte ich meiner Bank täglich auf den Füßen gestanden!“ Der Verteidiger von Jan S. musste kleinlaut eingestehen, dass man nie mit einem Gerichtsverfahren gerechnet habe: „Da hätten wir dran gehen müssen, aber weil mein Mandant der festen Überzeugung war, dass an der ganzen Geschichte nichts dran ist, haben wir das fälschlicherweise liegen lassen.“

 

Die Geschäftsführerin des Verlages sagte aus, dass die fehlende Summe ihr Unternehmen in eine Schieflage gebracht habe. Insgesamt habe es sich um fast 100.000 Euro gehandelt. Strafrechtlich waren die Fälle vor 2018 allerdings bereits verjährt. Auch hier wurde Becker stutzig, warum der Buchverlag nicht sofort sämtliche Geschäftsbeziehungen eingestellt hatte.

 

„Wir waren zunächst der Meinung, dass man die Angelegenheit gütlich abwickeln kann“, erklärte die 61-Jährige, warum man die Zeitschriften noch ein Jahr lang geliefert habe. Die fehlenden Gelder habe man aber ab Kenntnisnahme regelmäßig angemahnt. Zu einem Vergleich im Zivilverfahren sei es nicht gekommen, weil die angebotene Summe deutlich zu gering gewesen sei. Die Geschäftsführerin betonte, dass sie die Strafanzeige sofort zurückziehen würde, sobald ihr Verlag das Geld erhalte: „Ich bin weiter vergleichsbereit.“

 

Eine weitere Zeugin, eine langjährige Bürokraft der Vertriebsfirma, bestätigte indessen, dass es bis 2018 ein „herzliches Verhältnis“ zu dem Verlag gegeben habe: „Es gab nie Beschwerden und auch keine Anfragen wegen falscher Abrechnungen. Für mein Empfinden konnte das alles gar nicht sein.“ Auch die 58-Jährige bestätigte, dass die Buchhaltung weitgehend durch eine Steuerberatungskanzlei abgewickelt wurde. Sie selbst habe lediglich die Abrechnung geprüft und anschließend verschickt. Dabei sei es nie zu Problemen mit anderen Verlagen gekommen.

 

Becker regte anschließend an, sämtliche Konten bei der Hausbank von Jan S. zu beschlagnahmen, um die Zahlungen an den Verlag nachvollziehen zu können – zivilrechtlich hätte das allerdings keine Auswirkungen mehr gehabt. Hier sind alle Fristen bereits abgelaufen. Zu der Beschlagnahmung kam es aber nicht. Stattdessen einigten sich Staatsanwaltschaft, Gericht und Verteidigung darauf, das Verfahren gegen eine Zahlung in Höhe von 25.000 Euro (Jan S.) und 5.000 Euro (Nina U.) innerhalb von sechs Monaten an den Verlag einzustellen. Die Summe ist auf die zivilrechtliche Forderung anzurechnen. „Mehr geht derzeit auch absolut nicht“, so der Verteidiger von Jan S.

 

Aus Sicht von Becker ein echter Vertrauensvorschuss in Richtung des 67-Jährigen: „Wir glauben Ihnen, dass sie dieses Geld überweisen wollen, haben aber Zweifel, ob sie mit ihrem Schufa-Score den dafür notwendigen Kredit überhaupt erhalten werden.“ Einen letzten Rat hatte der Richter dann aber noch: „Bitte nicht als Sammelüberweisung.“

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